Kant: Briefwechsel, Brief 40, An Iohann Gottfried Herder. |
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| An Iohann Gottfried Herder. | |||||||
| 9. Mai [1768.] | |||||||
| HochwohlEhrwürdiger | |||||||
| Hochzuehrender Herr. | |||||||
| Ich ergreife diese Gelegenheit um Ihnen diejenige Achtung und | |||||||
| Freundschaft zu bezeigen die meine gewöhnliche Nachläßigkeit im | |||||||
| Schreiben hätte zweifelhaft machen können. Ich habe an dem unterscheidenden | |||||||
| Beyfall den sich Ihre neuerliche Versuche in der Welt erworben | |||||||
| haben mit einer gewissen Eitelkeit Antheil genommen ob | |||||||
| solche zwar blos auf Ihrem eigenen Boden gewachsen sind und derienigen | |||||||
| Anweisung die Sie bey mir zu nehmen beliebten nichts schuldig | |||||||
| sind. Wofern die Critik nicht das Nachtheilige an sich hätte das | |||||||
| Genie furchtsam zu machen und die Feinheit des Urtheils die | |||||||
| Selbstbilligung sehr schweer machte so würde ich hoffen nach dem | |||||||
| kleinen Versuche den ich von Ihnen aufhebe zu hoffen an Ihnen in | |||||||
| derjenigen Art von Dichtkunst, welche die Grazie der Weisheit ist, | |||||||
| und worinn Pope noch allein glänzt mit der Zeit einen Meister zu | |||||||
| erleben. Bey der frühen Auswickelung Ihrer Talente sehe ich mit | |||||||
| mehrerem Vergnügen auf den Zeitpunkt hinaus wo der fruchtbare | |||||||
| Geist nicht mehr so sehr getrieben durch die warme Bewegung des | |||||||
| jugendlichen Gefühls diejenige Ruhe erwirbt welche sanft aber | |||||||
| empfindungsvoll ist und gleichsam das beschauliche Leben des Philosophen | |||||||
| ist, gerade das Gegentheil von demjenigen wovon Mystiker | |||||||
| träumen. Ich hoffe diese Epoche Ihres Genies aus demjenigen was | |||||||
| ich von Ihnen kenne mit Zuversicht eine Gemüthsverfassung die dem | |||||||
| so sie besitzt und der Welt unter allen am nützlichsten ist worinn | |||||||
| Montange den untersten und Hume so viel ich weiß den obersten | |||||||
| Platz einnehme. | |||||||
| Was mich betrift da ich an nichts hänge und mit einer tiefen | |||||||
| Gleichgültigkeit gegen meine oder anderer Meinungen das gantze Gebäude | |||||||
| ofters umkehre und aus allerley Gesichtspunkten betrachte um | |||||||
| zuletzt etwa denienigen zu treffen woraus ich hoffen kan es, nach der | |||||||
| Warheit zu zeichnen, so habe ich seitdem wir getrennet seyn in vielen | |||||||
| Stücken anderen Einsichten Platz gegeben und indem mein Augenmerk | |||||||
| vornemlich darauf gerichtet ist die eigentliche Bestimmung und | |||||||
| die Schranken der Menschlichen Fähigkeiten und Neigungen zu erkennen | |||||||
| so glaube ich daß es mir in dem was die Sitten betrift | |||||||
| endlich ziemlich gelungen sey und ich arbeite ietzt an einer Metaphysik | |||||||
| der Sitten wo ich mir einbilde die augenscheinlichen und fruchtbaren | |||||||
| Grundsätze imgleichen die Methode angeben zu können wornach die | |||||||
| zwar sehr gangbare aber mehrentheils doch fruchtlose Bemühungen | |||||||
| in dieser Art der Erkentnis eingerichtet werden müssen wenn sie | |||||||
| einmal Nutzen schaffen sollen. Ich hoffe in diesem Iahre damit fertig | |||||||
| zu werden wofern meine stets wandelbare Gesundheit mir daran nicht | |||||||
| hinderlich ist. | |||||||
| Ich bitte ergebenst mich dem Herrn Behrens bestens zu empfehlen | |||||||
| und Ihn zu versichern daß man sehr treu in der Freundschaft seyn | |||||||
| könne wenn man gleich davon niemals schreibt. Herr Germann der | |||||||
| Ihnen Gegenwärtiges überreichen wird ist ein wohlgesitteter und | |||||||
| fleissiger Mann der Ihre Wohlgewogenheit sich wird zu erwerben | |||||||
| wissen und an dem die Rigaische Schule einen tüchtigen Arbeiter | |||||||
| bekommen hat. Ich bin mit wahrer Hochachtung | |||||||
| Ew: HochwohlEhrw: | |||||||
| ergebenster Freund u. Diener | |||||||
| Koenigsberg | I. Kant. | ||||||
| den 9ten May | |||||||
| 1767 | |||||||
| [ abgedruckt in : AA X, Seite 073 ] [ Brief 39a ] [ Brief 41 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |
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