Kant: Briefwechsel, Brief 395, Von Ernst Ferdinand Klein.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Ernst Ferdinand Klein.      
           
  22. Dec. 1789.      
           
  Verzeihen Sie, verehrungswürdiger Mann, daß ich meine Antwort      
  auf den Brief, womit Sie mich beehrt haben, so lange ausgesetzt      
  habe. Ich hoffte von Zeit zu Zeit, ich würde Zeit gewinnen, Ihnen      
  eine philosophische Arbeit zu Einholung Ihres Urtheils, zu übersenden.      
  Da ich meiner Geschäfte wegen noch nicht dazu habe kommen können,      
  so behalte ich mir es vor, von Ihrem gütigen Anerbieten künftig Gebrauch      
  zu machen.      
           
  In kurzem werden Sie vielleicht in der hiesigen Monatsschrift      
  ein Gespräch zwischen Charon einem Fürsten und einem Professor der      
  Rechtsgelahrheit über die Frage lesen:      
           
           
  Ob ein Fürst schuldig sey, sein Volk wohl zu regieren?      
           
  Diesen Aufsatz habe ich gegen eine Recension meiner Schrift wider      
  Garven in den Göttingischen Zeit. gerichtet. Der Recensent giebt zu      
  verstehen, daß er ein Iurist sey, und gedenkt eines Fürsten, der deswegen      
  die Theorie vom geselligen Vertrage nicht leiden könne, weil sie      
  die Bewegungsgründe zum Guten schwäche, indem sie alles zu sehr      
  zur Schuldigkeit mache.      
           
  Da ich dabey die ersten Gründe der Sittlichkeit habe berühren      
  müssen, so bitte ich, diesen Aufsatz einiger Aufmerksamkeit zu würdigen,      
  und mich, wenn ich nicht auf dem rechten Weg seyn sollte, freundschaftlich      
  zu recht zu weisen.      
           
  Ich habe bey verschiedenen Gelegenheiten und in verschiedenen      
  Schriften dawider geeifert, daß man die Fürsten Väter des Vaterlandes      
  nennt. Ich freue mich, daß diese Aeußerung, die vielen befremdlich      
  vorkam, in Ihrer Theorie eine Stütze findet.      
  Ich bin daher auch darin mit Ihnen einig, daß eine Glückseeligkeit,      
  welche durch gewaltsame Einschränkung der Freyheit befördert      
  werden soll, nicht das Ziel des Gesetzgebers seyn dürfe. Ich würde      
  daher auch weder für die erzogenen Kinder ein Pflichttheil, noch für      
  den bedrängten Schuldner ein Indult einführen. Die Frage ist nur:      
  ob es die Pflicht des Gesetzgebers sey, dergleichen Einschränkungen      
  der Freyheit, woran man schon gewöhnt ist, schlechterdings abzuschaffen?      
       
           
  Ich zweifle. Was seit langen Zeiten gebräuchlich gewesen ist, scheint      
  den Willen des Volks für sich zu haben. Da ich nun durch Verträge      
  meine Freyheit einschränken darf, so weit ich mir dadurch nicht die      
  Macht benehme, unerläßliche Pflichten zu erfüllen: So läßt sich wohl,      
  wie ich glaube, die Beybehaltung solcher Gebräuche entschuldigen.      
  Ich fühle selbst, daß ich hier nicht füglich das Wort: rechtfertigen      
  brauchen kann: aber was ist zu thun? Unsre Gesetze sind voll von      
  solchen willkührlichen Einschränkungen. Ein Gesetzgeber, welcher auf      
  einmahl zu große Veränderungen vornehmen wollte, würde nichts gegen      
  die herrschende Meinung ausrichten. Das Volk kann ohnedieß nicht      
  auf einmahl mündig werden, und man muß es also nach und nach      
  aus der väterlichen Gewalt entlassen. Ich wünschte wohl hierüber gelegentlich      
  Ihre Meinung zu erfahren.      
           
           
  Ich danke Ihnen, daß Sie mir Bekantschaft mit HE Kiesewettern      
  verschafft haben. Dieser junge Mann gefällt mir.      
           
  Zur Vergeltung dafür wünsche ich Ihnen alles Gute; aber nicht      
  zum neuen Iahre, damit Sie nicht glauben, ich wollte dadurch eine      
  Antwort erhaschen. Schreiben Sie gelegentlich, so bald Sie Zeit haben.      
  Ich bin auch ein Briefschreiber, der mit seinen Antworten zögert; also      
  brauchen Sie Ihre Bequemlichkeit. Leben Sie wohl und erinnern Sie      
  sich wenn Sie Zeit haben,      
           
    Ihres abwesenden      
  Berlin Verehrers      
  den 22 Xbr 1789 Klein      
           
           
           
     

[ abgedruckt in : AA XI, Seite 117 ] [ Brief 394 ] [ Brief 396 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ]