| Kant: Briefwechsel, Brief 375, An Friedrich Heinrich Iacobi. | |||||||
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| An Friedrich Heinrich Iacobi. | |||||||
| 30. Aug. 1789. | |||||||
| Wohlgebohrner | |||||||
| Hochzuverehrender Herr | |||||||
| Das mir vom Herren Grafen von Windisch-Graetz zugedachte | |||||||
| Geschenk mit seinen philos. Schriften, ist mir, durch Ew. Wohlgeb. | |||||||
| gütige Vermittlung und des Hrn. Geh. Commerc:R. Fischer Bestelung, | |||||||
| richtig zu Handen gekommen, wie ich denn auch die erste | |||||||
| Ausgabe der Histoire Metaphysique etc. etc. durch den Buchhändler | |||||||
| Sixt zu seiner Zeit richtig erhalten habe. | |||||||
| Ich bitte diesem Herren gelegentlich meinen ergebensten Dank, | |||||||
| zugleich aber auch die größte Hochachtung für sein Talent als Philosoph, | |||||||
| in Verbindung mit der edelsten Denkungsart eines Weltbürgers, | |||||||
| zu versichern. - In der letzgenannten Schrift ist es mir erfreulich, | |||||||
| den Hrn. Grafen, von selbst u. zu gleicher Zeit, was ich auf eine | |||||||
| schulgerechte Art zu bewirken suchte, mit der Klarheit u. Annehmlichkeit | |||||||
| des Vortrages, die den Mann von der großen Welt auszeichnet, | |||||||
| bearbeiten zu sehen; nämlich die edlere Triebfedern in der menschl. | |||||||
| Natur, die so lang mit den physischen vermischt; oder gar verwechselt, | |||||||
| die Wirkung gar nicht gehabt haben, die man von ihnen mit Recht | |||||||
| erwarten kan, in ihrer Reinigkeit herzustellen u. in Spiel zu setzen; | |||||||
| eine Unternehmung die ich mit der größten Sehnsucht vollendet zu | |||||||
| sehen wünsche, da sie offenbar mit den beyden anderen Schriften (der | |||||||
| von geheimen Gesellsch. u. der von der freywilligen Abänderung der | |||||||
| Constitution in Monarchien) in einem System zusammenhängt u. die | |||||||
| letztere, zum Theil als wundersam eingetroffene Warsagung, zum Theil | |||||||
| als weiser Rath für Despoten, in der jetzigen Crisis von Europa von | |||||||
| großer Wirkung seyn muß. - Noch hat kein Staatsmann so hoch | |||||||
| hinauf die Principien zur Kunst Menschen zu regiren gesucht, oder | |||||||
| auch nur zu suchen verstanden. Aber darum haben auch alle ihre | |||||||
| Vorschläge nicht einmal Überzeugung, viel weniger Wirkung, hervorgebracht. | |||||||
| Für Ew: Wohlgeb. schönes mir zugeschicktes Werk: über die | |||||||
| Lehre des Spinoza, neueste Ausgabe, sage gleichfals den ergebensten | |||||||
| Dank. Sie haben sich dadurch das Verdienst erworben, zuerst die | |||||||
| Schwierigkeiten in ihrer größten Klarheit darzustellen, welche den teleologischen | |||||||
| Weg zur Theologie umgeben u. vermuthlich Spinozen zu | |||||||
| seinem System vermocht haben: Mit raschen Schritten auf Unternehmungen | |||||||
| zu einem großen, aber weit entfernten Ziel, ausgehen, ist der | |||||||
| gründlichen Einsicht zu aller Zeit nachtheilig gewesen. Der die Klippen | |||||||
| zeigt, hat sie darum doch nicht hingestellt, u. ob er gleich gar die Unmöglichkeit | |||||||
| behauptet, zwischen denselben mit vollen Segeln (des | |||||||
| Dogmatismus) durchzukommen, so hat er darum doch nicht alle Möglichkeit | |||||||
| einer glücklichen Durchfarth abgeläugnet. Ich finde nicht da | |||||||
| Sie hiezu den Compas der Vernunft unnöthig, oder gar irre leitend | |||||||
| zu seyn, urtheilen. Etwas, was über die Speculation hinzukommt, | |||||||
| aber doch nur in ihr, der Vernunft, selbst liegt u. was wir zwar (mit | |||||||
| dem Nahmen der Freyheit, einem übersinnlichen Vermögen der Causalität | |||||||
| in uns) zu benennen, aber nicht zu begreifen wissen, ist das | |||||||
| nothwendige Ergänzungsstück derselben. Ob nun Vernunft, um zu | |||||||
| diesem Begriffe des Theismus zu gelangen, nur durch Etwas, was | |||||||
| allein Geschichte lehrt, oder nur durch eine, uns unerfaßliche übernatürliche | |||||||
| innere Einwirkung, habe erweckt werden können, ist eine | |||||||
| Frage, welche blos eine Nebensache, nämlich das Entstehen und Aufkommen | |||||||
| dieser Idee, betrift. Denn man kan eben sowohl einräumen, | |||||||
| daß, wenn das Evangelium die allgemeine sittliche Gesetze in ihrer | |||||||
| ganzen Reinigkeit nicht vorher gelehrt hätte, die Vernunft bis jetzt sie | |||||||
| nicht in solcher Vollkommenheit würde eingesehen haben, obgleich, da | |||||||
| sie einmal da sind, man einen jeden von ihrer Richtigkeit u. Gültigkeit | |||||||
| (anjetzt) durch die bloße Vernunft überzeugen kan. - Den Syncetism | |||||||
| des Spinozismus mit dem Deism in Herders Gott haben | |||||||
| Sie aufs gründlichste wiederlegt. Überhaupt liegt aller Syncretisterey | |||||||
| gemeiniglich Mangel an Aufrichtigkeit zum Grunde, Eine Gemüthseigenschaft | |||||||
| die diesem großen Künstler von Blendwerken (die, wie | |||||||
| durch eine Zauberlaterne, Wunderdinge eine Augenblicke lang vorstellig | |||||||
| machen, bald darauf aber auf immer verschwinden, indessen daß sie | |||||||
| doch bey Unwissenden eine Bewunderung hinterlassen, daß etwas Außerordentliches | |||||||
| darhinter stecken müsse, welches sie nur nicht haschen | |||||||
| können) besonders eigen ist. | |||||||
| Ich habe es jederzeit für Pflicht gehalten, Männern von Talent, | |||||||
| Wissenschaft u. Rechtschaffenheit mit Achtung zu begegnen, so weit wir | |||||||
| auch in Meynungen aus einander seyn möchten. Aus diesem Gesichtspuncte | |||||||
| werden sie auch meinen Aufsatz in der Berl: M. S. über das | |||||||
| sich Orientiren, beurtheilen; zu der mich die Auffoderung von verschiedenen | |||||||
| Orten, mich vom Verdacht des Spinozisms zu reinigen, | |||||||
| wieder meine Neigung genöthigt hat, u. worinn Sie, wie ich hoffe, | |||||||
| auch keine Spuhr einer Abweichung von jenem Grundsatze antreffen | |||||||
| werden. Andere Ausfälle auf Ihre u. einige Ihrer würdigen | |||||||
| Freunde Behauptungen habe ich jederzeit mit innerem Schmerz wargenommen | |||||||
| u. auch dawieder Vorstellungen gethan. Ich weiß aber | |||||||
| nicht, wie an sich guten u. verständigen Männern ofters der Kopf gestellt | |||||||
| ist, daß sie ein Verdienst darinn setzen, was, wenn es gegen sie | |||||||
| geschähe ihnen höchst unbillig dünken würde. - Doch das wahre Verdienst | |||||||
| kann durch solche auf dasselbe geworfene Schatten an seinem | |||||||
| selbst leuchtenden Glanze nichts verlieren u. wird dennoch nicht verkannt | |||||||
| werden. | |||||||
| Unser Hamann hat, vornehmlich in der Absicht, um seine mannigfaltige | |||||||
| erworbene Kenntnisse durch den Versuch sie anderen vorzutragen | |||||||
| in Ordnung u. Zusammenhang zu bringen, eine Hofmeisterstelle bey | |||||||
| dem Grafen v. Keyserling in Curland angenommen, wo es ihm auch | |||||||
| sehr wohl gefällt. Er ist eine gute ehrliche Seele, denkt sich dem | |||||||
| Schulwesen zu widmen u., da er in kurzer Zeit Vater und Mutter | |||||||
| verlohren hat, seinem verwayseten Geschwister in seinem Vaterlande | |||||||
| dereinst Hülfe zu leisten. | |||||||
| Ich wünsche daß Ew: Wohlgeb. mit fröhlichem Gemüth in guter | |||||||
| Gesundheit Ihrer Lieblingsbeschäftigung, der edelsten unter allen, nämlich | |||||||
| dem Nachdenken über die ernste Principien dessen, worauf allgemeines | |||||||
| Menschenwohl beruht, noch lange Iahre nachzuhängen vom Schicksal | |||||||
| begünstigt werden mögen u. bin übrigens mit der vorzüglichsten Hochachtung | |||||||
| Ew: Wohlgeb. | |||||||
| ganz ergebenster Diener | |||||||
| Koenigsberg | I. Kant. | ||||||
| den 30 sten August | |||||||
| 1789. | |||||||
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