Kant: Briefwechsel, Brief 343, Von Carl Christian Erhard Schmid.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Carl Christian Erhard Schmid.      
           
  Iena, den 21 sten Februar 1789.      
           
  Wohlgebohrner Herr!      
  Verehrungswürdiger Herr Professor!      
  Die innigste Verehrung Ihrer verdienstlichen Bemühungen für      
  die Philosophie und die lebhaftesten Gefühle der Dankbarkeit für die      
  Nahrung des Geistes, für die beruhigenden Ueberzeugungen und für      
  die wohlthätigen Einflüße auf die Nahrung meiner intellectuellen und      
  moralischen Thätigkeit, die ich Ihren Schrifften zu verdanken habe,      
  werden mir Verzeihung bey Ihnen auswürken wegen der Freyheit die      
  ich mir nehme, abermahls an Eu. Wohlgebohren zu schreiben, und eine      
  kl[eine] Schrift, worin ich wenigstens guten Willen bewieß, Ihr Unternehmen      
  zu befördern, Ihnen mit der Vorstellung zuzusenden, als könnte      
  ich dadurch meine Ehrfurchtsvollen und erkentlichen Gesinnungen      
  einigermaaßen an den Tag legen und sie Ihrer nachsichtigen Beurtheilung      
  empfehlen.      
           
  Betrachten Sie es nicht als einen leichtsinnigen Mißbrauch Ihrer      
  unschätzbaren Zeit, sondern lediglich als eine Folge meines unwiderstehlichen      
  Drangs, belehrt zu werden und meine Ueberzeugungen      
  harmonischer zu machen, wenn ich mir die Freyheit nehme, mein Vorhaben,      
  künftigen Sommer die Moral in Vorlesungen zu erklären (da      
  bisher nicht einmahl die Glückseligkeitslehre systematisch gelehrt worden,      
  und selbst die Studirenden ein Bedürfniß moralischen Unterrichts      
  fühlen) durch Ihren erleuchteten Rath, den ich mir dazu ausbitte, zu      
  unterstützen.      
           
  So wenig ich nach Ihren Schrifften über die pract. Philos. über      
  die Bestimmung dessen, was in iedem Falle Pflicht ist, ungewiß seyn      
           
  kann, so bin ich doch in Absicht auf die bequemste und zweckmässigste      
  Ordnung und Methode der systematischen Bearbeitung der einzelnen      
  Pflichten in keiner geringen Verlegenheit; da mich die bisherigen      
  Systeme nicht befriedigen. Einige Winke von einem Manne, der gewiß      
  auch hierüber selbst gedacht hat, könnten für mich äusserst lehrreich,      
  und ihre sorgfältigste und dankbarste Befolgung von meiner Seite      
  meinen Zuhörern überaus nutzbar seyn.      
           
  Außerdem gestehe ich noch einige Dunkelheit meiner Vorstellung      
  von demienigen, was über Pflicht, ihre verschiedenen Arten (Grade)      
  und über Verdienst in Ihren Schrifften vorkömmt. Nehmlich nach      
  S. 152. der Cri. der pr. Vern. giebt es keine verdienstliche Handlung,      
  sondern alles ist Pflicht d. h. apodictische Forderung der Vernunft,      
  die unserm Belieben und unsern Neigungen nichts überläßt.      
  Eben dahin zielt auch, wenn ich nicht irre, die Anweisung der Methodenlehre      
  S. 276 zu verhüten, daß die Einbildung des Verdienstlichen,      
  den Gedanken an Pflicht nicht verdränge. Gleichwohl wird      
  in eben dieser Cri. S. 282. von unerlaßlichen oder sogenannten      
  Pflichten gegen Gott so gesprochen als gäbe es auch erlaßliche      
  Pflichten. Auf einen solchen Unterschied bezieht sich auch S. 284. die      
  verlangte Unterscheidung zwischen legibus obligandi und obligantibus      
  (deren Entwikkelung mir viel Schwürigkeit macht) und die      
  Auseinandersetzung des Unterschiedes zwischen wesentlichen und verdienstlichen      
  Pflichten in der Grundl. z. Metaph. der Sitten S. 53.      
  57. 67., wodurch ich [mich] zwar in Stand gesetzt sehe, einzelne Fälle      
  unter diese Begriffe zu subsumiren, dennoch aber "nicht vermögend      
  "bin, mir und andern klar auseinanderzusetzen, wie die Begriffe      
  "Pflicht u. erlaßlich, verdienstlich etc. sich mit einander ohne      
  "Widerspruch vereinigen laßen, wie die Nothwendigkeit einer Handlung      
  "verschiedene Arten und Grade haben könne, und in wiefern die eigne      
  "Neigung freyen Spielraum in Ansehung einiger pflichtmäßigen      
  "(durch Vernunft nothwendig bestimmten) Handlungen behalten könne      
  "und dürfe." Einige Belehrung hierüber, die Ihnen hoffentlich nicht      
  allzu viel Zeit rauben wird, deren möglichste Schonung ich für eine      
  heilige Pflicht gegen das Publicum erkenne, würde auf meine eigne      
  Beruhigung so wie auf die Nutzbarkeit meiner Vorlesungen einen      
  überaus großen Einfluß haben, und ich bin daher des festen Vertrauens,      
  Eu. Wohlgebohren werden die Gewogenheit haben, und mich      
           
  derselben würdigen; der ich mit den Gesinnungen der Ehrfurcht und      
  Dankbarkeit verharre      
           
    Euer Wohlgebohren      
    gehorsamster Diener      
    M. Carl Christian Erhard Schmid.      
           
           
           
     

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