Kant: Briefwechsel, Brief 33, Von Iohann Heinrich Lambert.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Iohann Heinrich Lambert.      
           
  13. Nov. 1765.      
           
  Mein Herr!      
           
  Ich glaube, daß dieses Schreiben und die Freymüthigkeit, alle      
  Umschweife des sonst üblichen Styli darinn wegzulaßen, durch die      
  Ähnlichkeit unserer Gedankensart vollkommen entschuldigt wird, Und      
  der Anlaß, den mir des Herrn Prof. und Prediger Reccard Abreise      
  nach Königsberg gibt, ist zu schön, als daß ich denselben nicht      
  gebrauchen sollte, Ihnen das Vergnügen zu bezeugen, welches ich      
  daran finde, daß wir in sehr vielen neuen Gedanken und Untersuchungen      
  auf einerley Wege gerathen. Von Herrn Pr. Reccard      
  mögen Sie, Mein Herr, schon wißen, daß derselbe zur Astronomie gebohren      
  ist, und sein Vergnügen in den Tiefen des Firmamentes findet.      
  Ich habe ihn demnach nicht weiters zu empfehlen.      
           
  Vor einem Iahre zeigte mir Herr Profeßor Sulzer Dero einigen      
  möglichen Beweis von der Existenz Gottes. Ich fande meine      
  Gedanken und Auswahl der Materien und Ausdrücke darinn, und      
  machte voraus den Schluß, daß wenn Ihnen, Mein Herr, mein      
  Organon vorkommen sollte, Sie sich ebenfalls darinn in den meisten      
  Stücken abgebildet finden würden. Seit dem hatte ich meine Architectonik      
  ausgearbeitet und schon seit einem Iahre zum Drucke fertig,      
  Und nun sehe ich, daß Sie Mein Herr, auf künftige Ostern eine      
  eigentliche Methode der Metaphysic heraus geben werden. Was      
  ist natürlicher als die Begirde zu sehen, ob das was ich ausgeführt      
  habe, nach der Methode ist, die Sie vorschlagen? An der Richtigkeit      
  der Methode zweifele ich nicht, und so wird der Unterschied nur darinn      
  bestehen, daß ich nicht Alles zur Architectonik rechne, was man bißher      
  in der Metaphysic abgehandelt, und daß hingegen eine vollständige      
           
  Metaphysic mehr enthalten muß, als was bißher darinn gewesen.      
  Zur Architectonic nehme ich das einfachen und erste jeder Theile der      
  menschlichen Erkenntnis, und zwar nicht nur die Principia, welches      
  von der Form hergenommene Gründe sind, sondern auch die Axiomata,      
  die von der Materie selbst hergenommen werden müßen, und      
  eigentlich nur bey den einfachen Begriffen, als die für sich nicht widersprechend      
  und für sich gedenkbar sind, vorkommen, und die Postulata,      
  welche allgemeine und unbedingte Möglichkeiten der Zusammensetzung      
  und Verbindung der einfachen Begriffe angeben. Von der Form allein      
  kommt man zu keiner Materie, und man bleibt im idealen, und in bloßen      
  Terminologien stecken, wenn man sich nicht um das erste und für sich      
  Gedenkbare der Materie oder des obiectiuen Stoffes der Erkenntnis      
  umsieht.      
           
  Wenn die Architectonik ein Roman wäre, so glaube ich, sie würde      
  bereits viele Verleger gefunden haben, so sehr ist es wahr, daß Buchhändler      
  und Leser einander verderben, und vom gründlichen Nachdenken      
  abhalten. Hier herum philosophirt man schlechthin nur über die      
  sogenannten schönen Wißenschaften. Dichter, Maler und Tonkünstler      
  finden die ihren Künsten eigene Wörter zu niedrig und entlehnen      
  daher einer die Kunstwörter des andern. Der Dichter spricht von      
  nichts als von Colorit, Farbenmischung, Pinselzügen, Stellung, Zeichnung,      
  Manier, Anstrich, etc. Der Tonkünstler von Colorit, Ausdruck,      
  Einkleidung, feurigen und witzigen Gedanken der Töne, von pedantischen      
  Fugen etc. Er hat eben so wie der Maler einen Stylum,      
  den er sublim, mittelmäßig, bürgerlich, heroisch, kriechend etc. zu      
  machen weiß. In solchen Metaphern, die keiner weder recht versteht,      
  noch erklärt, noch das tertium comparationis kennt, besteht nun das      
  feine und erhabene dieser Künste und eben dadurch macht man sich      
  ein gelehrtes und Sublimes Ansehen daß man sie gebraucht. Da sich      
  noch niemand bemüht hat, das was in solchen Ausdrücken gedenkbar      
  ist, auszulesen und mit eigenen Namen zu benennen, so kann man      
  sie desto dreister gebrauchen. So weit aber wird man die Auslegung      
  nicht treiben können, daß man dem Blinden die Farben, dem Tauben      
  die Töne begreiflich mache. Indeßen sollte man fast gedenken, da      
  es die Absicht bey solchen Metaphern wäre.      
           
  Doch ich komme wieder auf die Architectonik. Ich sehe aus verschiedenen      
  Umständen, daß Herr Kanter ein Mann ist, der auch      
           
  philosophische und größere Werke in Verlag nimmt, und wünschte aus      
  diesem Grunde ihm eint und anderes zu drucken zu geben, wiewohl      
  ich dermalen noch kein ander manuscript habe. Ob es demselben      
  gleichgültig oder wegen der Kösten vortheilhaft wäre, in Leipzig      
  drucken zu laßen, kömmt auf die Gleichheit oder den Unterschied des      
  Preyßes und der Frachtkösten an. Könnte es angehen, so wäre es      
  in mehrern andern Absichten das vorträglichste. In dieser Ungewißheit      
  nehme die Freyheit beyliegendes Blatt beyzufügen, falls HE. Kannter      
  Lust hätte, das Werk in Verlag zu nehmen, oder es biß Ostern liefern      
  könnte. Das honorarium pro labore würde ein Artikel von etwann      
  200 rthlr. seyn, und ist desto mäßiger, weil das Werk nothwendig      
  Aufsehen machen wird.      
           
  Ich kann Ihnen, mein Herr, zuversichtlich sagen, daß mir Ihre      
  Gedanken über den Weltbau, wovon Sie in der Vorrede des einigen      
  möglichen Beweises etc. Erwähnung thun, noch dermalen nicht      
  vorgekommen. Was in den Cosmologischen Briefen pag. 149 erzählt      
  wird, ist von anno 1749 zu datiren. Ich gienge gleich nach dem      
  Nachtessen, und zwar wieder meine damalige Gewohnheit, in Mein      
  Zimmer, und beschaute am Fenster den gestirnten Himmel und besonders      
  die Milchstraße. Den Einfall, so ich dabey hatte, sie als eine      
  Eccliptic der Fixsterne anzusehen, schrieb ich auf ein Quartblatt, und      
  dieses war alles, was ich anno 1760, da ich die Briefe schriebe, aufgezeichnet      
  vor mir hatte. Anno 1761 sagte man mir zu Nürnberg,      
  daß vor einigen Iahren ein Engländer ähnliche Gedanken in Briefen      
  an andere Engländer habe drucken laßen, es seye aber sehr unreif,      
  und die zu Nürnberg angefangene Uebersetzung seye nicht vollendet      
  worden. Ich antwortete, die Cosmologische Briefe werden kein Aufsehen      
  machen, biß etwann künftig ein Astronome etwas am Himmel      
  entdecken werde, das sich nicht anders werde erklären laßen; und      
  wenn dann das System a posteriori werde bewährt gefunden seyn, so      
  werden Liebhaber der Griechischen Literatur kommen, und nicht ruhen,      
  biß sie beweisen können, das ganze System seye dem Philolao,      
  Anaximandro oder irgend einem Griechischen Weltweisen schon bekannt      
  gewesen, und man habe es in den neuern Zeiten nur herfür      
  gesucht und besser aufgeputzt etc. Denn dieses sind Leute, die in den      
  Alten Alles finden, sobald man ihnen sagt, was sie suchen sollen.      
  Indeßen nimmt mich mehr Wunder, daß nicht schon Newton darauf      
           
  verfallen, weil er doch an die Schwere der Fixsterne gegen einander      
  gedacht hat.      
           
  In Absicht auf Sie, Mein Herr, habe ich mehrere Wünsche. Den      
  einen werde ich zwar nicht sagen, weil ich nicht weiß, ob und wiefern      
  die hiesige Verfassung der Sachen denselben wirklich werden      
  laßen. Indeßen kann ich sagen, daß ich ihn nicht allein habe. Der      
  andere ist, daß es mir sehr angenehm seyn wird, wenn Ihnen Zeit      
  und Geschäfte erlauben, mir jede beliebige Anläße zu einem Briefwechsel      
  zu geben. Cosmologie, Metaphysic, Physick, Mathematick,      
  die schönen Wissenschaften mit deren Regeln &c. kurz jede Anschläge      
  zu neuen Ausarbeitungen, so wie auch jede Anläße zu Gefälligkeiten.      
  Wir verfielen ja bißher fast auf einerley Untersuchungen, ohne es zu wißen.      
  Sollte es damit nicht besser vonstatten gehen, wenn wir es einander      
  voraus sagen. Wie leicht wird man in den Folgen einig, wenn man      
  in den Gründen eins ist, und wie nachdrücklich läßt sich sodann der      
  Ton geben. Wolf hat ungefehr die Helfte der Mathematischen      
  Methode in der Philosophie angebracht. Es ist noch um die andere      
  Helfte zu thun, so haben wir was wir verlangen können.      
  Ich habe die Ehre mit wahrer Hochachtung zu seyn      
           
  Mein Herr      
           
  Berlin den 13 Nov. 1765. Dero Ergebenster Diener      
    IH Lambert      
  Im Bethgenschen Hause an der Prof. et membre de l'acad. R.      
  Ecke der Cronenstraße und des Sciences .      
  Schinkenbrücke        
           
           
           
     

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