Kant: Briefwechsel, Brief 319, Von Iohann Ioachim Spalding. |
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| Von Iohann Ioachim Spalding. | |||||||
| 8. Febr. 1788. | |||||||
| Höchstgeschätzter Herr Profeßor | |||||||
| Vor einem Paar Wochen ward mir aus Halle Ihre Critik der | |||||||
| praktischen Vernunft zugesandt, mit der beygefügten Anzeige, da | |||||||
| es auf Ihr Verlangen geschehe. Dieß erinnerte mich, zu meiner desto | |||||||
| größeren Beschämung, an eine schon vorher begangene Sünde. Ich | |||||||
| hatte nämlich durch den Herrn Bibliothekar, D. Biester die Metaphysik | |||||||
| der Sitten erhalten, und sie ohne Zweifel eben so, wie das | |||||||
| vorgenannte Werk, Ihrer Güte zu danken. Gewiß hätte ich nun bey | |||||||
| dem Empfange dieser letzten Schrift noch an demselbigen Tage geschrieben, | |||||||
| um für beides meine verbindlichste Erkenntlichkeit zu bezeugen und | |||||||
| wegen meiner Unterlaßungsschuld um gütige Verzeihung zu bitten, | |||||||
| wenn mich nicht seit dem Ende des Decembers ein fast beständiges | |||||||
| Uebelbefinden dazu untüchtig gemacht hätte. Ietzt, nach einiger Erholung, | |||||||
| thue ich hiemit beides, zwar spät, aber von ganzem Herzen. | |||||||
| Ueber Ihre großen philosophischen Arbeiten, theuerster Herr Profeßor, | |||||||
| bin ich einer der ungültigsten Richter. Das Maaß meiner | |||||||
| Kräfte hat mir nie verstattet, mich in die Tiefen der Speculation einzulaßen, | |||||||
| und von einem so alten Kopfe, als der meinige ist, läßt sich | |||||||
| das noch so viel weniger erwarten. Ich muß also den abstracten theo[r]etischen | |||||||
| Untersuchungen nur ganz aus dem Wege gehen, weil ich doch | |||||||
| in dieses Feld durchaus nicht hingehöre; und wenn mich gleich das | |||||||
| behauptete absolute Unvermögen der speculativen Vernunft, das Daseyn | |||||||
| von etwas Uebersinnlichem zu beweisen, durch die Furcht beunruhiget | |||||||
| hat, daß ich mir damit etwas müßte aus den Händen | |||||||
| winden laßen, das ich so lange in dem sichersten Besitze fest zu haben | |||||||
| glaubte und daran mir zu viel gelegen ist, als daß ich es jemal mit | |||||||
| Gleichgültigkeit sollte verlieren können, so muß ich es darauf ankommen | |||||||
| laßen, ob diese alte Art der Sicherheit von Andern beßer geschützt | |||||||
| werden, oder ich mich mit dem Beweise aus dem Bedürfniße, zu | |||||||
| einer immer völligern Beruhigung, familiarisiren kann. | |||||||
| Desto mehr hergegen hat das meiner Seele wohl gethan, was | |||||||
| Sie, vortrefflicher Mann, in Ansehung des Grundes der Moralität in | |||||||
| ein so helles und ehrwürdiges Licht gesetzt haben. Schon in meinen | |||||||
| jüngern Iahren konnte ich mich mit dem Glückseligkeitsprincipium in | |||||||
| der Sittenlehre nie recht vereinigen. Es blieb mir durchaus unmöglich, | |||||||
| die Begriffe: Kluger Mensch und guter Mensch in meiner Empfindung | |||||||
| zusammen zu schmelzen und gerade für einerley zu halten. | |||||||
| Eine geraume Zeit hindurch schien der Glaube an Shaftesbury's | |||||||
| und Hutcheson's schimmerndes System vom moralischen Sinn | |||||||
| mich hiebey zufrieden zustellen; aber es war nur ein Einschläfern. | |||||||
| Die Vorstellung von mehreren ursprünglichen, unabhäng[ig]en Seelenkräften | |||||||
| ward mir nach und nach immer schwerer zu unterhalten; und | |||||||
| ob ich gleich die Sache durch den allgemeinen Begriff von einer durch | |||||||
| die Natur uns eingepfla[n]tzten Neigung zur Vollkommenheit, Schicklichkeit, | |||||||
| Ordnung, zu vereinfachen, und darunter auch die Ueber[ein]stimmung | |||||||
| der Gesinnungen mit den wesentlichen Verhältnißen der Dinge einzufaßen | |||||||
| suchte, so konnte ich es doch damit nie völlig zur Deutlichkeit | |||||||
| und aufs Reine bringen. Daraus - und das ist auch der einzige | |||||||
| Zweck dieser meiner, sonst sehr unnützen, Gedankengeschichte - sollen | |||||||
| Sie nur sehen, Höchstgeschätzter Herr Profeßor, wie viel ich an meinem | |||||||
| Theile Ihnen dafür Dank weiß, daß Sie die Tugend in ihrer wahren, | |||||||
| nackten und desto ehrfurchtwürdigern Schönheit, als Recht und Gesetzmäßigkeit, | |||||||
| auf den ihr gebührenden höchsten Thron fest gesetzt | |||||||
| und jeden noch so liebkosenden Usurpator davon verdrängt haben. | |||||||
| Entschuldigen Sie diese so wenig sagende Weitläuftigkeit, und | |||||||
| nehmen Sie nur die aufrichtige Versicherung der ausgezeichnetesten | |||||||
| Hochachtung an, mit welcher ich bin | |||||||
| Ew. Wohlgebohren | |||||||
| Berlin am 8 Febr: | ganz ergebener Diener | ||||||
| 1788 | I. Spalding. | ||||||
| [ abgedruckt in : AA X, Seite 527 ] [ Brief 318 ] [ Brief 320 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |
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