Kant: Briefwechsel, Brief 29, An Fräulein Charlotte von Knobloch. |
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| An Fräulein Charlotte von Knobloch. | |||||||
| 10. Aug. [1763.] | |||||||
| Ich würde mich der Ehre und des Vergnügens nicht so lange | |||||||
| beraubt haben, dem Befehl einer Dame, die die Zierde ihres Geschlechts | |||||||
| ist, durch die Abstattung des erforderten Berichts nachzukommen, | |||||||
| wenn ichs nicht vor nöthig erachtet hätte, zuvor eine vollständigere | |||||||
| Erkundigung in dieser Sache einzuziehen. Der Inhalt der | |||||||
| Erzählung, zu der ich mich anschicke, ist von ganz anderer Art, als | |||||||
| diejenigen gewöhnlich seyn müssen, denen es erlaubt seyn soll, mit allen | |||||||
| Grazien umgeben, in die Zimmer der Schönen einzudringen. Ich | |||||||
| würde es auch zu verantworten haben, wenn bei Durchlesung derselben | |||||||
| irgend feyerlicher Ernst einen Augenblick die Miene der Fröhlichkeit | |||||||
| auslöschen sollte, womit zufriedene Unschuld die ganze Schöpfung | |||||||
| anzublicken berechtiget ist, wenn ich nicht versichert wäre, daß, obgleich | |||||||
| dergleichen Bilder einerseits denjenigen Schauder rege machen, der | |||||||
| eine Wiederholung alter Erziehungseindrücke ist, dennoch die erleuchtete | |||||||
| Dame, die dieses lieset, die Annehmlichkeit nicht vermissen werde, die | |||||||
| eine richtige Anwendung dieser Vorstellung liefern kann. Erlauben | |||||||
| Sie mir, gnädiges Fräulein, daß ich mein Verfahren in dieser Sache | |||||||
| rechtfertige, da es scheinen könnte, daß ein gemeiner Wahn mich etwa | |||||||
| möchte vorbereitet haben, die dahin einschlagenden Erzählungen aufzusuchen | |||||||
| und ohne sorgfältige Prüfung gerne anzunehmen. | |||||||
| Ich weiß nicht, ob jemand an mir eine Spur von einer zum | |||||||
| Wunderbaren geneigten Gemüthsart oder von einer Schwäche, die leicht | |||||||
| zum Glauben bewogen wird, sollte jemals haben wahrnehmen können. | |||||||
| So viel ist gewiß, daß ungeachtet aller Geschichten von Erscheinungen | |||||||
| und Handlungen des Geisterreichs, davon mir eine große Menge der | |||||||
| wahrscheinlichsten bekannt ist, ich doch jederzeit der Regel der gesunden | |||||||
| Vernunft am gemäßesten zu seyn erachtet habe, sich auf die verneinende | |||||||
| Seite zu lenken; nicht als ob ich vermeinet, die Unmöglichkeit davon | |||||||
| eingesehen zu haben, (denn, wie wenig ist uns doch von der Natur | |||||||
| eines Geistes bekannt?) sondern, weil sie insgesamt nicht genugsam | |||||||
| bewiesen sind; übrigens auch, was die Unbegreiflichkeit dieser Art Erscheinungen, | |||||||
| imgleichen ihre Unnützlichkeit anlangt, der Schwierigkeiten so | |||||||
| viele sind, dagegen aber des entdeckten Betruges und auch der Leichtigkeit | |||||||
| betrogen zu werden, so mancherlei, daß ich, der ich mir überhaupt nicht | |||||||
| gerne Ungelegenheit mache, nicht vor rathsam hielt, mir deswegen auf | |||||||
| Kirchhöfen oder in einer Finsterniß bange werden zu lassen. Dieses ist | |||||||
| die Stellung, in welcher sich mein Gemüth von langer Zeit her befand, | |||||||
| bis die Geschichte des Herrn Swedenborg mir bekannt gemacht wurde. | |||||||
| Diese Nachricht hatte ich durch einen Dänischen Officier, der mein | |||||||
| Freund und ehemaliger Zuhörer war, welcher an der Tafel des Oesterreichschen | |||||||
| Gesandten Dietrichstein in Kopenhagen den Brief, den dieser | |||||||
| Herr zu derselben Zeit von dem Baron von Lützow, Meklenburgschem | |||||||
| Gesandten in Stockholm, bekam, selbst nebst andern Gästen gelesen hatte, wo | |||||||
| gedachter von Lützow ihm meldet, daß er in Gesellschaft des Holländischen | |||||||
| Gesandten bei der Königin von Schweden der sonderbaren Geschichte, | |||||||
| die Ihnen, gnäd. Fr. vom Hrn. v. Swedenborg schon bekannt seyn | |||||||
| wird, selbst beigewohnet habe. Die Glaubwürdigkeit einer solchen | |||||||
| Nachricht machte mich stutzig. Denn, man kann es schwerlich annehmen, | |||||||
| daß ein Gesandter an einen andern Gesandten eine Nachricht | |||||||
| zum öffentlichen Gebrauch überschreiben sollte, welche von der | |||||||
| Königin des Hofes, wo er sich befindet, etwas melden sollte, welches | |||||||
| unwahr wäre und wobei er doch, nebst einer ansehnlichen Gesellschaft | |||||||
| zugegen wollte gewesen seyn. Um nun das Vorurtheil von Erscheinungen | |||||||
| und Gesichtern nicht durch ein neues Vorurtheil blindlings zu verwerfen, | |||||||
| fand ich es vernünftig, mich nach dieser Geschichte näher zu erkundigen. | |||||||
| Ich schrieb an gedachten Officier nach Kopenhagen und gab ihm allerlei | |||||||
| Erkundigungen auf. Er antwortete, daß er nochmals desfalls den | |||||||
| Grafen von Dietrichstein gesprochen hätte, daß die Sache sich wirklich | |||||||
| so verhielte, daß der Professor Schlegel ihm bezeuget habe, es wäre | |||||||
| gar nicht daran zu zweifeln. Er rieth mir, weil er damals zur Armee | |||||||
| unter dem General St. Germain abging, an den von Swedenborg | |||||||
| selbst zu schreiben, um nähere Umstände davon zu erfahren. Ich | |||||||
| schrieb demnach an diesen seltsamen Mann und der Brief wurde | |||||||
| ihm von einem englischen Kaufmanne in Stockholm eingehändiget. | |||||||
| Man berichtete hieher, der Herr v. Swed. habe den Brief geneigt aufgenommen | |||||||
| und versprochen, ihn zu beantworten. Allein diese Antwort | |||||||
| blieb aus. Mittlerweile machte ich Bekanntschaft mit einem feinen | |||||||
| Manne, einem Engländer, der sich verwichenen Sommer hier aufhielt, | |||||||
| welchem ich, Kraft der Freundschaft, die wir zusammen aufgerichtet | |||||||
| hatten, auftrug, bei seiner Reise nach Stockholm genauere Kundschaft | |||||||
| wegen der Wundergabe des Hrn. v. Swed. einzuziehen. Laut seinem | |||||||
| ersten Berichte verhielt es sich mit der schon erwähnten Historie | |||||||
| nach der Aussage der angesehensten Leute in Stockholm genau so, | |||||||
| wie ich es Ihnen sonst erzählt habe. Er hatte damals den Hrn. | |||||||
| v. Swedenborg nicht gesprochen, hoffete aber ihn zu sprechen, wie wohl | |||||||
| es ihm schwer ankam, sich zu überreden, daß dasjenige alles richtig | |||||||
| seyn sollte, was die vernünftigsten Personen dieser Stadt von seinem | |||||||
| geheimen Umgange mit der unsichtbaren Geisterwelt erzählen. Seine | |||||||
| folgenden Briefe aber lauten ganz anders. Er hat den Hrn. | |||||||
| v. Swed. nicht allein gesprochen, sondern auch in seinem Hause | |||||||
| besucht und ist in der äußersten Verwunderung über die ganze so | |||||||
| seltsame Sache. Swedenborg ist ein vernünftiger, gefälliger und | |||||||
| offenherziger Mann; er ist ein Gelehrter und mein mehr erwähnter | |||||||
| Freund hat mir versprochen, einige von seinen Schriften mir in Kurzem | |||||||
| zu überschicken. Er sagte diesem ohne Zurückhaltung, daß Gott ihm | |||||||
| die sonderbare Eigenschaft gegeben habe, mit den abgeschiedenen Seelen | |||||||
| nach seinem Belieben umzugehen. Er berief sich auf ganz notorische | |||||||
| Beweisthümer. Als er an meinen Brief erinnert wurde, antwortete | |||||||
| er, er habe ihn wohl aufgenommen und würde ihn schon beantwortet | |||||||
| haben, wenn er sich nicht vorgesetzt hätte, diese ganze sonderbare Sache | |||||||
| vor den Augen der Welt öffentlich bekannt zu machen. Er würde im | |||||||
| May dieses Iahres nach London gehen, wo er sein Buch herausgeben | |||||||
| würde, darin auch die Beantwortung meines Briefes nach allen | |||||||
| Artikeln sollte anzutreffen seyn. | |||||||
| Um Ihnen, gnäd. Fräul. ein Paar Beweisthümer zu geben, | |||||||
| wo das Ganze noch lebende Publikum Zeuge ist und der Mann, welcher | |||||||
| es mir berichtet, es unmittelbar an Stelle und Ort hat untersuchen | |||||||
| können, so belieben Sie nur folgende zwei Begebenheiten zu vernehmen. | |||||||
| Madame Harteville, die Wittwe des Holländischen Envoyer in | |||||||
| Stockholm, wurde einige Zeit nach dem Tode ihres Mannes von dem | |||||||
| Goldschmidt Croon um die Bezahlung des Silberservices gemahnt, | |||||||
| welches ihr Gemahl bei ihm hatte machen lassen. Die Wittwe war | |||||||
| zwar überzeugt, daß ihr verstorbener Gemahl viel zu genau und | |||||||
| ordentlich gewesen war, als daß er diese Schuld nicht sollte bezahlt | |||||||
| haben, allein sie konnte keine Quittung aufweisen. In dieser Bekümmerni | |||||||
| und weil der Werth ansehnlich war, bat sie den Hrn. | |||||||
| v. Swedenborg zu sich. Nach einigen Entschuldigungen trug sie | |||||||
| ihm vor, daß, wenn er die außerordentliche Gabe hätte, wie alle | |||||||
| Menschen sagten, mit den abgeschiedenen Seelen zu reden, er die | |||||||
| Gütigkeit haben möchte, bei ihrem Manne Erkundigungen einzuziehen, | |||||||
| wie es mit der Forderung wegen des Silberservices stünde. Swed. | |||||||
| war gar nicht schwierig, ihr in diesem Ersuchen zu willfahren. | |||||||
| Drei Tage hernach hatte die gedachte Dame eine Gesellschaft bei sich | |||||||
| zum Caffee. Hr. v. Swed. kam hin und gab ihr mit seiner | |||||||
| kaltblütigen Art Nachricht, daß er ihren Mann gesprochen habe. Die | |||||||
| Schuld war sieben Monate vor seinem Tode bezahlt worden und die | |||||||
| Quittung sey in einem Schranke, der sich im obern Zimmer befände. | |||||||
| Die Dame erwiederte, daß dieser Schrank ganz ausgeräumet sey und | |||||||
| daß man unter allen Papieren diese Quittung nicht gefunden hätte. | |||||||
| Swedenborg sagte, ihr Gemahl hätte ihm beschrieben, daß, wenn man | |||||||
| an der linken Seite eine Schublade herauszöge, ein Brett zum Vorschein | |||||||
| käme, welches weggeschoben werden müßte, da sich dann eine | |||||||
| verborgene Schublade finden würde, worin seine geheim gehaltene | |||||||
| holländische Correspondenz verwahrt wäre und auch die Quittung anzutreffen | |||||||
| sey. Auf diese Anzeige begab sich die Dame in Begleitung | |||||||
| der ganzen Gesellschaft in das obere Zimmer. Man eröfnet den | |||||||
| Schrank, man verfuhr ganz nach der Beschreibung und fand die | |||||||
| Schublade, von der sie nichts gewußt hatte und die angezeigten | |||||||
| Papiere darinnen, zum größten Erstaunen aller, die gegenwärtig waren. | |||||||
| Die folgende Begebenheit aber scheint mir unter allen die größte | |||||||
| Beweiskraft zu haben und benimmt wirklich allem erdenklichen Zweifel | |||||||
| die Ausflucht. Es war im Iahre 1756, als Hr. von Swed. | |||||||
| gegen Ende des Septembermonats am Sonnabend um 4 Uhr Nachmittags | |||||||
| aus England ankommend, zu Gothenburg ans Land stieg. | |||||||
| Herr William Castel bat ihn zu sich und zugleich eine Gesellschaft | |||||||
| von funfzehn Personen. Des Abends um 6 Uhr war Hr. v. Swed. | |||||||
| herausgegangen und kam entfärbt und bestürzt ins Gesellschaftszimmer | |||||||
| zurück. Er sagte, es sey eben jetzt ein gefährlicher Brand in | |||||||
| Stockholm am Südermalm (Gothenburg liegt von Stockholm über | |||||||
| 50 Meilen weit ab) und das Feuer griff sehr um sich. Er war unruhig | |||||||
| und ging oft heraus. Er sagte, daß das Haus einer seiner | |||||||
| Freunde, den er nannte, schon in der Asche läge und sein eigenes | |||||||
| Haus in Gefahr sey. Um 8 Uhr, nachdem er wieder herausgegangen | |||||||
| war, sagte er freudig: Gottlob, der Brand ist gelöschet, die dritte | |||||||
| Thüre von meinem Hause! - Diese Nachricht brachte die ganze Stadt | |||||||
| und besonders die Gesellschaft in starke Bewegung und man gab noch | |||||||
| denselben Abend dem Gouverneur davon Nachricht. Sonntags des | |||||||
| Morgens ward Swed. zum Gouverneur gerufen. Dieser befrug | |||||||
| ihn um die Sache. Swed. beschrieb den Brand genau, wie er | |||||||
| angefangen, wie er aufgehört hätte und die Zeit seiner Dauer. Desselben | |||||||
| Tages lief die Nachricht durch die ganze Stadt, wo es nun, | |||||||
| weil der Gouverneur darauf geachtet hatte, eine noch stärkere Bewegung | |||||||
| verursachte, da viele wegen ihrer Freunde oder wegen ihrer | |||||||
| Güter in Besorgniß waren. Am Montage Abends kam eine Estafette, | |||||||
| die von der Kaufmannschaft in Stockholm während des Brandes abgeschickt | |||||||
| war, in Gothenburg an. In den Briefen ward der Brand | |||||||
| ganz auf die erzählte Art beschrieben. Dienstags Morgens kam ein | |||||||
| königlicher Courier an den Gouverneur mit dem Berichte von dem | |||||||
| Brande, vom Verluste, den er verursachet und den Häusern, die er | |||||||
| betroffen, an; nicht im mindesten von der Nachricht unterschieden, die | |||||||
| Swed. zur selbigen Zeit gegeben hatte, denn der Brand war um | |||||||
| 8 Uhr gelöschet worden. | |||||||
| Was kann man wider die Glaubwürdigkeit dieser Begebenheit | |||||||
| anführen? Der Freund, der mir dieses schreibt, hat alles das nicht | |||||||
| allein in Stockholm, sondern vor ungefähr 2 Monaten in Gothenburg | |||||||
| selbst untersucht, wo er die ansehnlichsten Häuser sehr wohl kennt | |||||||
| und wo er sich von einer ganzen Stadt, in der seit der kurzen Zeit | |||||||
| von 1756 doch die meisten Augenzeugen noch leben, hat vollständig | |||||||
| belehren können. Er hat mir zugleich einigen Bericht von der Art | |||||||
| gegeben, wie nach der Aussage des Herrn von Swedenborg diese seine | |||||||
| Gemeinschaft mit andern Geistern zugehe, imgleichen seine Ideen, die | |||||||
| er vom Zustande abgeschiedener Seelen giebt. Dieses Portrait ist | |||||||
| seltsam: aber es gebricht mir die Zeit, davon einige Beschreibung zu | |||||||
| geben. Wie sehr wünsche ich, daß ich diesen sonderbaren Mann selbst | |||||||
| hätte fragen können: denn mein Freund ist der Methoden nicht so | |||||||
| wohl kundig, dasjenige abzufragen, was in einer solchen Sache das | |||||||
| meiste Licht geben kann. Ich warte mit Sehnsucht auf das Buch, das | |||||||
| Swedenborg in London herausgeben will. Es sind alle Anstalten | |||||||
| gemacht, daß ich es so bald bekomme, als es die Presse verlassen | |||||||
| haben wird. | |||||||
| So viel ist desjenigen, was ich vorjetzt zur Befriedigung Ihrer | |||||||
| edlen Wißbegierde melden kann. Ich weiß nicht, gnädiges Fräulein! | |||||||
| ob Sie das Urtheil zu wissen verlangen möchten, was ich mich unterfangen | |||||||
| dürfte, über diese schlüpfrige Sache zu fällen. Viel größere | |||||||
| Talente, als der kleine Grad, der mir zu Theil geworden, werden | |||||||
| hierüber wenig Zuverläßiges ausmachen können. Allein von welcher | |||||||
| Bedeutung mein Urtheil auch sey, so wird Ihr Befehl mich verbinden, | |||||||
| dasselbe, daferne Sie noch lange auf dem Lande verharren und ich | |||||||
| mich nicht mündlich darüber erklären könnte, schriftlich mitzutheilen. | |||||||
| Ich besorge die Erlaubniß, an Sie zu schreiben, schon gemißbraucht zu | |||||||
| haben, indem ich Sie mit einer eilfertigen und ungeschickten Feder wirklich | |||||||
| schon viel zu lange unterhielt. Ich bin mit der tiefsten Verehrung etc. | |||||||
| I. Kant. | |||||||
| [ abgedruckt in : AA X, Seite 043 ] [ Brief 28b ] [ Brief 29a und b ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |
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