Kant: Briefwechsel, Brief 289, Von Iohann Ioseph Kausch.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Iohann Ioseph Kausch.      
           
  Militsch in Schlesien den 29 Febr.      
           
  1787.      
           
  Wolgeborner, Hochgelehrter Herr,      
  Besonders zu verehrender Herr      
  Profeßor,      
  Erlauben Sie mir, daß ich mir die Freiheit nehme Ihnen in      
  Beilage die Fortsezung des Bardenopfers für 1787, welches ich seit ein      
  Paar Iaren herausgebe, zu übersenden; es dürfte Ihnen vielleicht sonst      
  diese Erscheinung, welche eine Ode an Ew wohlgeb. enthält (in die      
           
  sich vor einigen Monaten meine Ehrfurcht für Sie, als ich eben meine      
  ganze Seele an Ihrer Kritik gelabt hatte, auflösete) Ihnen erst sehr      
  spät oder gar nicht zu Händen kommen. Für jeden Iargang pflege      
  ich ein Paar Männer, die Deutschland Ehre machen zum Gegenstande      
  meines Liedes zu wählen, heuer waren Sie es und des verdienstvollen      
  Prinzen von Würtemberg Durchlaucht. Erhebt diese Männer auch mein      
  Lob nicht: so wird doch Ihr Name einige Mal öfterer in Ehren dadurch      
  öffentlich genannt. Nun aber finden Sie noch eine Beilage im      
  Mspt, welche für mich wichtiger ist. Ich bin mit der Gesellschaft      
  (welche die Apologien gegen den itzt in Schwange gehenden Rezensionsunfug      
  und gegen die Personalienjagd, die man so sehr treibt,      
  herausgiebt) verbunden, auf diese Art kam mir vor dem Druk eine      
  Aufforderung eines Räsonneurs gegen Ihre Schriften zu Handen, die      
  im ersten Heft zufolge des Planes erschienen. Dagegen schrieb ich in      
  gedachtes Heft, welches schon in Königsberg zu haben sein wird, oder      
  welches ich vielleicht noch bestelle, daß es diesem Briefe in Leipzig beigelegt      
  wird, eine widerlegende, sehr gemäßigte (wie es der apologetische      
  Plan mit sich bringt) Zurechtweisung des Aufforderers. Diese erneuerte      
  in mir den alten Wunsch zufolge Ihrer Aeußerung in den Prolegomenen      
  einzelne Artikel Ihres Systems zu bearbeiten und diese Arbeit      
  Ihnen vorzulegen. Ihre diesfalsige Äußerung gefiel mir von jeher sehr      
  wol, denn es ist nichts natürlicher als daß Leute mit einander gemeinschaftlich      
  schwere, paradoxe Sätze prüfen; und leider nichts gewöhnlicher      
  als daß jeder sein System sich formt und nachher zum Märtirer drüber      
  werden will. Ich habe Ihre Schriften sehr studirt, bin ungemein      
  dafür, dennoch habe ich große Schwierigkeiten übrig, diese sollen mich      
  aber noch lange nicht zum Gegner machen, sondern ich will Sie Ihnen      
  öffentlich vorlegen, will mich immer mehr freuen, wenn Sie mich überzeugen,      
  als wenn ich einen Schritt mehr davon entfernt werde. Ich      
  denke Ihrer Seits mir hierauf Rechnung machen zu dürfen, um so      
  mehr, da ich doch mit der Beilage Ew. Wohlgeb. zu überzeugen gedenke,      
  daß ich diese und jene Ihrer Lehren nicht ohne Anstrengung      
  mir habe suchen eigen zu machen.      
           
  Die Aufforderung führte mich nun insbesondere auf die schwere      
  Frage der Zeit und des Raums. Indeß es war mir desto lieber; ich      
  konnte sie nicht ganz ins erste Heft einrüken, und wollte den Punkt,      
  welcher diese Frage betrift, auch vorher Ew. wolgeb. zusenden. Hiemit      
           
  erhalten Sie ihn; ich werde mit ungemeiner Begierde Ihren      
  Außerungen darüber entgegensehen. Mir scheint es beinahe die Sache      
  ist für die Apologien schon zu groß geworden, und würde sich viel beßer      
  zu einer kleinen Ab[handlung] qualifiziren, besonders wenn Ew. wolgeb.      
  verschiedenes hinzuzufügen fänden. Dies überlaße ich nun Ew. wolgeb.      
  ganz: ob Sie auf diesem oder jenem Wege, mit oder ohne meinseitige      
  nochmalige Ueberarbeitung diese Sache vors Publikum kommen laßen      
  wollen. Mein Zwek ist durchaus nicht Ihr System wankend zu machen,      
  sondern nur das Wahre zu suchen und ich wiederhole es, daß die      
  Auflösung meiner Einwendungen mir vor jedem andern gewiß willkommen      
  ist. Sollte ich Sie irgendwo ganz noch mißverstehen, ei dann      
  wird mir Ihre Belehrung noch wichtiger sein.      
           
  Es wird mir angenehm sein, wenn ich Ihre mir gewiß unschäzbare      
  Antwort entweder gradezu erhalte, oder auch wenn Sie an die      
  Emanuel Beersche Buchhandlung in Leipzig, welche die Apologien speditirt,      
  unter meinem Namen adreßirt wird. Hätten Ew. wolgeb. an      
  die Apologien etwas einzusenden, so können Ew. wolgeb. es geradezu      
  an mich senden, da mir die Anfertigung zum Theil oblieget. (Dies      
  sei sub rosa gesagt.)      
           
  Wäre meine Zeit nicht so sehr durch Praxis und stehende Arbeit      
  beschränkt, so würde ich gern eine vollständige Abh. über Raum und      
  Zeit geliefert haben. - Irre ich denn, wenn es mir scheint, der größte      
  Theil Ihres Systems würde von Ihrer Raumstheorie unabhängig      
  vertheidigt werden können? - es kann sein daß ich hierinn irre, allein      
  das ist gewiß, daß viele zu Ihnen übergehen würden, wenn Ihnen      
  diese Schwierigkeit nicht im Wege läge; diesem zufolge soll die nähere,      
  öftere Erörterung immer Gewinn sein.      
           
  Gern legte ich Ew. wolgeb. die einzige Schrift, die ich in diesen      
  Materien bisher geliefert habe, bei, allein Sie können Sie ohne bedeutende      
  Kosten in jedem Laden erhalten, und ich würde das Porto      
  dadurch zu sehr vermehren. Der Titel ist Kauschs Psychol. Abh.      
  über den Einfluß der Töne und insbesondere der Musik auf die Seele.      
           
  Vergeben Sie mir, daß die Zeit es mir ganz unmöglich macht      
  diesen Brief abschreiben zu laßen. Ich bin ehrfurchtsvoll.      
           
    Ewwolgeb.      
    gehorsamster Diener D. Kausch, Königl.      
    Preuß. Kreisphysikus.      
           
           
           
           
     

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