Kant: Briefwechsel, Brief 275, Von Iohann Erich Biester. |
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| Von Iohann Erich Biester. | |||||||
| Berlin. d. 11 Iun. 1786. | |||||||
| Als ich gestern, theurester Herr Professor, Ihren letzten wichtigen | |||||||
| Brief durch HE Ienisch (dem ich gewiß, auf Ihre Empfehlung, nach | |||||||
| allen Kräften beförderlich zu sein trachten will) erhielt; war es mir | |||||||
| nun beinahe lieb, daß ein Zufall mich gehindert hatte, Ihnen früher | |||||||
| das neueste Quartal der Monatsschrift zu übersenden. Ich hätte Ihnen | |||||||
| doch dabei über eine Materie schreiben müssen, welche Sie Selbst in | |||||||
| diesem Briefe berühren, u. worüber ich itzt, nach dem was Sie davon | |||||||
| sagen, ausführlicher reden kann. | |||||||
| Der itzt leider so heftig geführte Streit zwischen (oder über) | |||||||
| Mos. Mendelssohn u. H. Iakobi, betrift, meiner Einsicht nach, vorzüglich | |||||||
| 2 Punkte. Der eine ist das Faktum: ob Lessing wirklich | |||||||
| Atheist gewesen ist, u. dabei die Frage: ob Moses M. erst die Bekanntmachung | |||||||
| dieses Faktums bewilligt, u. hernach doch möglichst verhindert | |||||||
| habe? Dieser Punkt ist aber, seiner Natur nach, nur immer Nebending, | |||||||
| u. wird itzt von Hrn Iakobi u. seinem Freunde (dem Verf. der Critischen | |||||||
| Resultate etc.) selbst nur als Nebensache angesehn u. behandelt, | |||||||
| da diese Herrn nur von diesem Faktum ausgehn, um überhaupt über | |||||||
| Vernunft, Philosophie, Deismus, Offenbarung, Glauben, u.s.w. so | |||||||
| entscheidend abzusprechen. Nur sehr warme Freunde u. dabei nur sehr | |||||||
| genaue persönliche Bekannte von Moses M., können sich in diesen | |||||||
| Streit mischen. Ich muß bekennen, daß, nach dem was HE Iakobi | |||||||
| in seiner letzten Schrift von Lessing angeführt hat, es mir höchst wahrscheinlich | |||||||
| wird, daß dieser sich zum Atheismus hingeneigt habe. Was | |||||||
| aber Mendelssohns Betragen hierbei betrift, so gehört, um darüber | |||||||
| vollständig zu urtheilen, eine genaue Kenntniß seines Charakters, u. | |||||||
| vorzüglich eine Durchsicht aller darüber gewechselten Briefe dazu; | |||||||
| welches mir beides fehlt. HE. Iakobi scheint, wenn man ihn darüber | |||||||
| angreifen wollte, noch einige Fragmente von Briefen hinter der Hand | |||||||
| zu haben, mit denen er dann herausrükken würde; denn in der That | |||||||
| mögte man wünschen, daß er sofort alles geliefert u. es vollständig u. | |||||||
| in chronologischer Ordnung geliefert hätte, nicht (wie in seiner neuesten | |||||||
| Schrift) die Antworten voran, u. die frühern Briefe zuletzt. - Kurz, | |||||||
| die ganze Sache scheint mir des Aufhebens nicht wehrt. Denn gesetzt | |||||||
| nun, es sei völlig erwiesen: Lessing war ein Atheist, u. Moses M. ein | |||||||
| etwas schwacher Mann; was ists dann mehr? | |||||||
| Wichtiger aber ist der zweite Punkt, worauf diese philosophischen | |||||||
| Schwärmer itzt so hitzig losgehn: die Untergrabung u. Verspottung | |||||||
| jeder Vernunfterkenntniß von Gott, die Lobpreisung u. fast Vergötterung | |||||||
| des unverständlichen Spinozistischen Hirngespinstes, u. die intolerante | |||||||
| Anempfehlung der Annahme einer positiven Religion, als des | |||||||
| einzig nothwendigen u. zugleich jedem vernünftigen Menschen zukommenden | |||||||
| Ausweges. Ohne Rüksicht auf irgend eine Hypothese, aus irgend | |||||||
| eine Person, muß dieser Punkt jedem denkenden Menschenfreunde sehr | |||||||
| wichtig sein, zumal in den itzigen Zeiten, wo der Fanatismus doch | |||||||
| schon halb Europa verwirrt macht, wo plumper thörichter dogmatischer | |||||||
| Atheismus mit Beifall gelehrt wird, u. wo itzt, durch die wunderseltsamste | |||||||
| Erscheinung, beide Verirrungen des menschlichen Verstandes | |||||||
| sich in diesen neuen Schwindelköpfen sogar vereinigen. - Ich sage: | |||||||
| ohne Rüksicht auf eine Person. Denn es ist nicht wahr, (wie mehreres, | |||||||
| was H. Iakobi sagt) sondern bloß invidiös, was er von der hiesigen | |||||||
| Vergötterung Moses Mendelssohns vorbringt. Die hiesigen Gelehrten | |||||||
| erkannten die Verdienste dieses angenehmen u. geschikten philosophischen | |||||||
| Schriftstellers, u. zugleich den moralischen Wehrt des Mannes. | |||||||
| Nie aber hat man ihn hier der Welt für einen Alleinweisen aufdringen | |||||||
| wollen; nie mehr von ihm hier gesagt, als die besten Köpfe von ganz | |||||||
| Deutschland allenthalben über ihn gesagt haben. Zöllner hat gegen | |||||||
| sein Ierusalem geschrieben, Engel stritt oft mündlich mit ihm über | |||||||
| die Hauptidee des Buchs; daß weder Herz noch Engel mit seinem | |||||||
| Beweise a priori vom Dasein Gottes zufrieden waren, wußte er sehr | |||||||
| wohl. - Es ist überhaupt höchst seltsam, was seit einiger Zeit verschiedne | |||||||
| Auswärtige über die Berlinische Denkungsart sagen, HE | |||||||
| Iakobi aber mit der größten Bitterkeit u. völlig unwürdigen Ausdrükken | |||||||
| sagt. Vielleicht an keinem Orte der Welt hängen die Gelehrten | |||||||
| weniger zusammen als hier, machen weniger Partie, u. widersprechen | |||||||
| sich freimüthiger. An keinem Orte werden gelehrte Streitigkeiten leichter | |||||||
| und mit einem geringerem Scheine von Wichtigkeit behandelt, als hier. | |||||||
| Was will denn dieser fanatische Schreier mit seiner Beschuldigung | |||||||
| von KryptoIesuitismus, Papismus, u. weit ausgebreitetem Schleichhandel? | |||||||
| Aber, wie gesagt, mag meinetwegen Moses M. und Berlin stehen | |||||||
| oder fallen! Nur die Wahrheit u. die Vernunft wünschte ich nicht | |||||||
| so sichtbarlich gefährdet. Und wenn affektirte Genieschwärmer dies auf | |||||||
| so stolze, hochfahrende, diktatorische Art thun; wünschte ich, daß Männer, | |||||||
| die bis itzt das Heft der Philosophie in Händen geführt, u. vom ganzen | |||||||
| denkenden Publikum dankbar als sichere u. erfahrne Leiter sind anerkannt | |||||||
| worden, sich öffentlich dagegen erklären mögten, damit die Leser nicht | |||||||
| von unberufnen u. unkundigen Steurern irre geführt, u. auf traurige | |||||||
| Klippen statt fruchtbarer Inseln gebracht werden. Wie sehr mußte es | |||||||
| nicht uns alle erfreuen, gleich Anfangs Ihren Entschluß zu erfahren, | |||||||
| ein Wort zur Zeit gegen diese wahrhaft gefährliche philosophische | |||||||
| Schwärmerei sagen zu wollen. Nur von Ihnen, vortreflicher Mann, | |||||||
| konnte man eine gründliche lehrreiche Zurechtweisung erwarten. Itzt | |||||||
| aber hat vollends der seltsame Iakobi, der um sich nur wichtig zu | |||||||
| machen sich alles erlaubt, bald sich als einzeln u. unterdrückt u. verfolgt | |||||||
| darstellt, bald aber wiederum seine Meinung von allen vernünftigen | |||||||
| Menschen, und von den größten Denkern (Leibnitz, Lessing, Kant, | |||||||
| Hemsterhuis, dem Verf. der Resultate), und von allen schätzungswehrten | |||||||
| frommen Christen (Lavater, Haman u.s.w.) angenommen vorstellt; | |||||||
| so daß Märtyrthum u. Uebereinstimmung der besten Zeugnisse ihm | |||||||
| zugleich dienen soll; - dieser heftige alles aufbietende Mensch hat itzt, | |||||||
| meiner Meinung nach, Sie, verehrungswürdiger Mann, auf eine höchst | |||||||
| indiskrete Art so in seinen Streit hineingezogen, daß Sie der guten | |||||||
| Sache und der Beruhigung Ihrer Zeitgenossen es noch mehr schuldig | |||||||
| zu sein scheinen, Sich darüber zu erklären. Es ist natürlich, daß den | |||||||
| wenigsten Lesern die philosophischen Systeme geläufig sind oder Ihrem | |||||||
| Gedächtnisse sogleich zu Gebote stehn; zumal ein so neues, so tief durchdachtes, | |||||||
| so ungewöhnlich scharfsinniges, als das Ihrige. Wenn die | |||||||
| Leser nun finden, daß ein allenthalben auf Wahrheit u. Unschuld | |||||||
| trotzender Schriftsteller Sie als seinen übereinstimmenden Zeugen anführt; | |||||||
| so wissen sie nicht was sie denken sollen, u. glauben wohl am | |||||||
| Ende seinen Anführungen. Ich kann Sie versichern, daß dies schon | |||||||
| der Fall bei manchen sehr achtungswürdigen Personen ist, die dadurch | |||||||
| irre gemacht sind. Keine gehässigere Beschuldigung aber kann wohl | |||||||
| leicht ein aufgeklärter Philosoph erfahren, als die: daß seine Grundsätze | |||||||
| entschiednen dogmatischen Atheismus, u. dadurch die | |||||||
| Schwärmerei beförderten. Schwärmerei durch Atheismus! das | |||||||
| ist Iakobis Lehre, und darin Sie zum Genossen zu haben, entblödet | |||||||
| er sich nicht der Welt einbilden zu wollen. | |||||||
| Sie ermahnen mich, jeden kränkenden Angrif auf H. Iakobi zu | |||||||
| verhüten. Das eigentlich Kränkende ist nur das Persönliche; u. dessen | |||||||
| werde ich u. meine Freunde gewiß bei diesem Streite uns immer zu | |||||||
| enthalten suchen. Zwar hat H. Iakobi sich alles erlaubt, sich zu | |||||||
| Schimpfworten u. Verläumdungen erniedrigt, sich erlaubt (was freilich | |||||||
| bei seiner Clique immer von Wirkung ist) Nicolai aufs ungebührlichste | |||||||
| zu behandeln. Die weitläuftige Reisebeschreibung muß | |||||||
| auch in diesem Streite herbeigezogen werden; ja gar die armselige, u. | |||||||
| noch dazu ganz falsche Anekdote von dem Epigramm in den Zeitungen, | |||||||
| das Nikolai sowenig als ich u. Sie gemacht hat, sondern daß ein | |||||||
| Impromptü des hiesigen Polizeipräsidenten Philippi am Tische des | |||||||
| Gouverneurs war. Dabei ist die ganze Schrift in einem so unedel | |||||||
| arroganten, kindisch eitlen, verächtlich egoistischen Tone geschrieben, als | |||||||
| die deutsche Sprache nicht leicht sonst noch ein Werk aufzuweisen hat. | |||||||
| Wer so in der Form schreibt, u. dazu in der Materie Unrecht hat, | |||||||
| kränkt wohl nicht bloß seine Zeitgenossen, sondern die Vernunft selbst | |||||||
| so bitter, daß kaum eine gleichmäßige Erwiederung möglich ist. | |||||||
| Indeß, das mögen Rezensenten u. wer eigentlich Theil am Streite hat, | |||||||
| ausmachen. Nur Sie, theurester, vortreflicher Mann, beschwöre ich, | |||||||
| durch keine Rücksicht u. Schonung Sich bewegen zu lassen, Ihrem ersten | |||||||
| Plane ungetreu zu werden, ich beschwöre Sie, Ihren heilenden Stein | |||||||
| der Minerva auf die Rasenden zu werfen, u. wenigstens itzt das | |||||||
| Publikum baldigst u. nachdrücklichst zu belehren: daß H. Iakobi Sie | |||||||
| mißverstanden hat, u. daß Sie nie ein Mitgenoß in der christlichen | |||||||
| Gesellschaft zur Beförderung des Atheismus und Fanatismus sein | |||||||
| können. Wahrscheinlich ist Ihnen eine jede öffentliche geradezu gegen | |||||||
| einen Andern gerichtete Erklärung von Herzen zuwider; desto unartiger | |||||||
| ist die Zudringlichkeit des HE. Iakobi. Ob aber hierbei Ihr Widerwille | |||||||
| gegen Streitigkeiten der Liebe zur Wahrheit das Gleichgewicht | |||||||
| halten darf, überlasse ich Ihrer eignen Entscheidung. - Erlauben Sie | |||||||
| nur, daß ich noch zwei etwas persönlichere Betrachtungen zufüge. Es | |||||||
| ist in der That beleidigend für Sie, daß ein so schwärmerischer Kopf, | |||||||
| der noch dazu mit solcher Gallenbitterkeit des Herzens schreibt, als | |||||||
| H. I., sich so vertraulich Ihnen zur Seite stellen darf. Das Publikum | |||||||
| ist natürlich aufmerksam, u. was wird es denken, wenn Sie Sich nicht | |||||||
| bald dagegen erklären? Kann es nicht gar auf den beleidigenden Verdacht | |||||||
| fallen: als wären Lobsprüche eines Iakobi im Stande, Ihr | |||||||
| Handeln oder Nichthandeln zu bestimmen? - ferner: Wir erleben | |||||||
| wahrscheinlich bald eine Veränderung, von der man (wie von allen | |||||||
| künftigen Dingen) nicht wissen kann, ob sie der freiern Denkungsart | |||||||
| günstig sein wird oder nicht? Es müsste aber wohl Ieden, der guten | |||||||
| Sache u. der Person wegen, schmerzen, wenn man alsdann, mit einigem | |||||||
| Scheine, den ersten Philosophen unsers Landes und die Philosophie | |||||||
| überhaupt beschuldigen könnte, den dogmatischen Atheismus zu begünstigen. | |||||||
| Diese gehässige Beschuldigung könte vielleicht dann von | |||||||
| Eindruk sein; welcher Eindruk aber völlig geschwächt wäre, wenn Sie | |||||||
| vorher von aller Verbindung mit diesem fanatischen Atheismus Sich | |||||||
| losgesagt hätten. | |||||||
| Sie schreiben mir von einer Vertheidigung, die Sie gegen Angriffe | |||||||
| der Hrn. Feder und Tittel bekannt machen wollen. Es wird, wie | |||||||
| alles aus Ihrer Feder, lehrreich und dem Publikum angenehm sein. | |||||||
| Nur kann ich mich gar nicht überzeugen, daß HE Iakobi in der Stelle | |||||||
| von den bedenklichen Zeichen an zwei verschiedenen Gegenden des litterarischen | |||||||
| Horizonts, diese von H. F. und T. erregte Fehde verstanden | |||||||
| habe. Er spricht hier wohl nur von sich; und so anmaßend er auch | |||||||
| ist, wird er doch nicht Sie und sich, Ihr System und seine Grillen, | |||||||
| durchaus für gleich halten. Auch glaube ich, kann Ihre Vertheidigung | |||||||
| dagegen itzt unmöglich so wichtig sein, als jene Erklärung worum ich | |||||||
| Sie bitte. Ieder vernünftige Mensch zukt die Achseln, wenn er sieht, | |||||||
| daß ein Feder (und Tittel ist vollends nur der schwache Schatten des | |||||||
| schwachen F.) einen Kant belehren will. Eine Zurechtweisung darüber | |||||||
| kann allerdings nicht schaden. Nur jene von Iakobi u. dem Verf. der | |||||||
| Resultate itzt erregte Gefahr ist wohl dringender; und in der That, | |||||||
| dünkt mich, zu dringend, als daß Sie in einem Aufsatze, wo Sie selbst | |||||||
| nur F. und T. beiläufig zurechtweisen wollen, wiederum nur beiläufig | |||||||
| hiervon reden wollten. | |||||||
| Ich hoffe und weiß, daß Ihre gewohnte Güte mir die Umständlichkeit | |||||||
| und Offenherzigkeit dieses Briefes zu gute halten wird. | |||||||
| Entschließen Sie sich darüber wie Sie wollen; nur entziehn Sie mir | |||||||
| Ihre gütige Freundschaft nie. | |||||||
| Von Besetzung der Stellen auf Ihrer Universität kann ich Ihnen | |||||||
| nichts melden. Wegen des Befindens in Potsdam ruhn alle Geschäfte. | |||||||
| Wir wollen wenigstens diese Zwischenzeit nutzen, um uns nach geschikten | |||||||
| Subjekten umzusehn. | |||||||
| Ihr aufrichtigster Verehrer | |||||||
| und verbundenster Freund | |||||||
| Biester. | |||||||
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