Kant: Briefwechsel, Brief 228, Von Friedrich Victor Leberecht Plessing.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Friedrich Victor Leberecht Plessing.      
           
  3. April 1784.      
           
  Wohlgeborner Herr,      
  Hochzuverehrender Herr,      
           
  Mit dem empfundensten Dank erkenne ich die Sorge und Aufmerksamkeit,      
  die Ew. Wohlgeb. bisher immer meinen Angelegenheiten      
  gewidmet haben, und ich werde nie aufhören, mich Denenselben dafür      
  verpflichtet zu erkennen: Dero Andenken ist mir unvergeßlich geworden.      
  Ich antworte sogleich, da ich Dero Schreiben erhalten. Sie sind      
  ein gerechter Mann, und haben ein inniges Gefühl von den Pflichten      
  der Menschlichkeit, und daher rührt Ihr Unwillen gegen einen gewißen      
  ungenannten Mann, weil Sie glauben, daß er gegen eine gewiße Person      
  nicht pflichtmäßig genug gehandelt. Eine jede lebhafte Empfindung      
  verdrängt auf gewiße Augenblikke, alle übrige: Laßen Sie uns das      
  Betragen des Ungenannten izt näher betrachten, vieleicht daß dann      
  die auf eine Zeitlang verstummten Empfindungen gegen den Ungenannten,      
  in Ew. Wohlgeb. wieder zurükkehren: Auch dieser verdient      
           
  Gerechtigkeit, und ein Mann von Ihrem Herzen, wird sie ihm nicht      
  versagen.      
           
  Zuerst muß ich Ew. Wohlgeb. auf Ehre und Gewißen versichern,      
  daß sich der Ungenannte nicht der geringsten Künste bedient, um die      
  bewußte Person zu verführen: er hat weder Überredungen noch Liebkosungen      
  angewendet: die bewußte Person hat der augenbliklichen      
  Empfindung des blos thierischen Triebes untergelegen: der Ungenannte      
  fand keinen Wiederstand. So wenig ich also den Ungenannten überhaupt      
  entschuldige, daß er in diese Schwachheit versunken, so ist er      
  doch von der Schuld frei, daß er die Tugend verführt: diesen Vorwurf      
  darf sich der Ungenannte weder hier bei dieser Person, noch je      
  sonst noch in seinem Leben machen. Und ich kann in die Seele des Ungenannten      
  schwören, daß, wenn er nur den geringsten Anschein von      
  Widerstand, der ein edles Gefühl der Tugend verrathen, gefunden, so      
  würde er dises heilige Gefühl geehret haben. - Noch eine Versicherung      
  kann ich Ihnen im Nahmen des Ungenannten thun, daß er einer      
  von denen jungen Leuten izt lebender Zeit ist, die sich am allerwenigsten      
  Vorwürfe darüber machen dürfen, in der Liebe zum andern Geschlecht,      
  durch Befriedigung des thierischen Instinkts ausgeschweift zu haben:      
  den Vorwurf muß er sich hingegen machen, daß er in der feinern      
  metaphysischen Liebe ehmals auf die traurigste Weise ausgeschweifet,      
  und darüber fast ganz Gesundheit des Leibes und der Seele verlohren      
  hat. - Nur einige wenige Mahle, hat er bei jener Person den thierischen      
  Empfindungen untergelegen, hernach hat er in der strengsten Entfernung      
  von derselben gelebt, und Ekel, und innern Unwillen gegen sich selbst,      
  empfunden.      
           
  Der Ungenannte soll ein unmoralisches Betragen dadurch geäußert      
  haben, daß er in den Augenblikken der thierischen Empfindung, die      
  künftigen daraus entstehenden traurigern Folgen hat vorzubeugen suchen.      
  Ich halte dergleichen außergesezliche Befriedigungen der Liebe im Ganzen      
  allemahl für unerlaubt; allein wenn nun ein Mensch einmahl in diese      
  Natur=Schwachheit verfällt, handelt er darin so unmoralisch, wenn ihn in      
  disen Augenblikken, die Furcht (:wenn er sie sich von je her so genau      
  aßociirt hat:) für künftigen traurigen Folgen bewegt, sich nicht ganz      
  seinem Instinkt zu überlaßen? Die Gränzen dieses Briefes erlauben      
  nicht, mehrere Anmerkungen über diese zärtliche Sache zu machen, die      
  von so manchen Seiten kann betrachtet werden; Nur dies einzige will      
           
  ich dabei noch erwähnen: Sollten Eheleute unmoralisch handeln, wenn      
  sie bei schon geschehener Empfängniß, demohnerachtet fortfahren, diesen      
  physischen Trieb der Liebe zu befriedigen, da von nun an durch denselben,      
  der Zwek der Zeugung nicht mehr kann erreicht werden? Ich      
  glaube dies Beispiel paßt auf den Ungenannten: denn wenn es moralisches      
  Gesez ist, bei der Befriedigung dieses NaturTriebes, blos unmittelbar      
  den Zwek der Zeugung zu erzielen, so handeln Eheleute unmoralisch,      
  wenn sie noch fortfahren die Werke der Liebe zu treiben, da      
  der Zwek der Zeugung nicht mehr erreicht werden kann. - Wenn aber      
  der Ungenannte hierin würklich geirrt, so glaube ich nicht, daß man die      
  Quelle dieses Irthums in seinem Herzen - in seiner moralischen Verdorbenheit      
  suchen müße. Er muß damahls (:überhaupt war zu dermahliger      
  Zeit seine Seelen=Lage ganz außerordentlich; und es dürften      
  wenige ähnliche Beispiele unter andern Menschen aufgefunden werden      
  können, um mit ihnen seinen Gemüths=Zustand zu vergleichen:) gewiß      
  nicht geglaubt haben, daß er hierin einen moralisch wichtigen Irthum      
  hege; dies läßt sich aus seinem ganzen Betragen, das er beobachtete,      
  darthun: So sehr auch Iemand ein Bösewicht seyn mag, so wird er      
  doch, wenn er äußerlich noch nicht ganz als Schurke demaskirt ist,      
  noch immer einen gewißen Schein vom rechtschaffenen Manne zu affektiren      
  suchen, und sich daher nie in seinen innersten Gesinnungen blos      
  geben, nehmlich, ganz offenbar seine bösartigen Gesinnungen von sich      
  bekennen. Der Ungenannte hingegen entdekte sich in dieser Gesinnung,      
  einem angesehenen Manne: Nun ist nur einer von beiden Fällen möglich:      
  entweder, der Ungenannte muß der einfältigste Mensch von der      
  Welt seyn, der nicht begreift, daß er sich der bittersten Verachtung      
  aussezt, wenn er schlechte Grundsäzze entdekt; oder, er muß der unverschämteste      
  Bösewicht seyn, der es in der Fühllosigkeit und Frechheit      
  schon soweit gebracht, daß Schande und Ehre ihm gleich viel sind:      
  Ich glaube nicht, daß der Ungenannte auf irgendeine Weise zu dem      
  Verdacht Anlaß gegeben: ihn entweder für einen ganz einfältigen      
  Menschen, oder für einen ausgemachten Schurken zu halten. - Auch      
  die Absicht, kann der Ungenannte, bei dieser gegen HErrn H. (:dem      
  bewußten angesehenen Mann:) von sich gethanen Erklärung, nicht gehabt      
  haben: sich etwa dadurch von den Ansprüchen los zu machen, die      
  die Person, wenn sie in ihrer Aussage fortführe, gegen ihn machen      
  könnte: denn ihm mußte bekannt seyn, daß die Gesezze auf dergleichen      
           
  nicht Rüksicht nehmen; Nur eine Ausflucht blieb ihm übrig: er mußte      
  alles ableugnen und abschwören; dies ist dem Ungenannten, aber nie      
  in den Sinn gekommen, auch hat er nie gegen Iemand anders so      
  etwas geäußert. Wenn ich mich also genau in die damahlige Lage      
  des Ungenannten hineindenke, so hat er, durch dieses Bekenntniß in      
  dem Individuo H. blos suchen die Überzeugung zu bewürken, daß die      
  Person, eine fälschliche Aussage von ihm thue. Hätte aber der Ungenannte      
  irgend vermuthet, durch dieses Bekenntniß ein Geständni      
  eines unmoralischen Grundsazzes zu thun, so läßt sich dies mit seinem      
  übrigen Betragen nicht zusammenreimen, da er so besorgt war, da      
  diese Sache möchte verschwiegen bleiben und ihm keine üble Nachrede      
  verursachen, und daher sich auch gleich vorher dazu verstand die Person      
  mit Gelde zu befriedigen. Wenn aber jemand so sehr um Verschwiegenheit      
  bei einer gewißen Sache zu thun ist, und er sich in derselben      
  einem Andern vertraut, sich aber gegen denselben dabei offenbar als      
  einen schlechten Menschen charakterisiret, darf er da wohl hoffen, da      
  der Andre ihm die Achtung beweisen, und seines Nahmens schonen wird?      
  (:ob HE H. dies bei dem Ungenannten in der Folge gethan, oder      
  nicht, weiß ich nun nicht:) Überhaupt war der Inhalt von dem Briefe      
  des Ungenannten an HE H. nicht so, daß er ein ausgeartetes Herz      
  verrathen können: Es muß Iemand kein Herz mitbringen, wenn      
  er nach Lesung deßelben, fähig seyn kann, dem Verfaßer deßelben, ein      
  ausgeartetes Herz zuzuschreiben. Doch genug hierüber.      
           
  Der Ungenannte soll ferner darin unmoralisch gehandelt haben,      
  daß er die bewußte Person Lügen gestraft, da doch nunmehr, durch      
  die Ähnlichkeit des Kindes mit dem Ungenannten, der so viel Auszeichnendes      
  an sich habe, die Warheit ihrer Aussage bestättigt      
  werde. Hat der Ungenannte der Person hierin zu viel gethan, so bittet      
  er sie deswegen in seinem Herzen recht feierlich um Verzeihung; allein,      
  wenn er es gethan, so kann ich aufs Gewißeste versichern, daß der Ungenannte      
  die höchsten Gründe der Warscheinlichkeit vor sich gehabt, durch      
  dieselben seinen Verdacht zu rechtfertigen: Der Ungenannte hatte erstlich      
  eine Erfahrung für sich die in Königsberg allgemein bekannt ist,      
  daß in K. sehr vieles lüderliches WeibsVolk ist, die fremde Nahmen      
  mißbrauchen: Ich kenne einen angesehenen Kaufmann in K-gb-g,      
  den binnen Zeit von einem Iahre sieben Frauenspersonen angegangen      
  sind, er habe sie in die Umstände der Schwangerschaft versezt; er hat      
           
  mir auf Ehre und Gewißen betheuret, daß er sie nicht einmahl alle      
  von Gesicht gekannt, besonders die siebente, die er nie in seinem Leben      
  gesehen. 6 von diesen lüderlichen Personen, um sich kein Spektakel      
  zu machen, hat er Geld gegeben: bei der siebenten endlich wird er ungeduldig      
  und schmeißt sie zur Thüre hinaus; diese verklagt ihn (:denn      
  es soll dergleichen Huren=Advokaten viele in K. geben. HE H. hat      
  auf eine lobenswürdige Weise selbst dazu beigetragen, daß einigen von      
  diesen schlechten Menschen, ihrer Advokatur sind entsezt worden:) sie bezeichnet      
  Ort, Stunde, alles genau: der Mann verliehrt den Proces;      
  er appellirt nach Berlin, da hat er ihn endlich gewonnen, aber auf      
  einige hundert Thaler Unkosten gehabt. Der Ungenannte hatte also      
  wenigstens viele Erfahrungen vor sich, daß dergleichen Weibspersonen      
  mehrentheils mit Lügen umgehen; doch konnte ihn freilig dies allein      
  nicht berechtigen, die Außage der Person platterdings für falsch zu erklären;      
  Allein eine andere Ursache, die er HE H. in jener schon gedachten      
  Erklärung zu verstehen gegeben, bewog ihn, das Vorgeben der      
  Person für fälschlich zu halten, so, daß er, wenn nun doch das Vorgeben      
  der Person würklich Grund haben sollte, gestehen muß: er sei      
  alsdenn überzeugt: daß das männliche Geschlecht, nicht die Ursache      
  sondern nur die entfernte Veranlaßung der Zeugung sei.      
           
  Und sollte wohl die behauptete Ähnlichkeit des Kindes, einen      
  völligen Beweis gegen den Ungenannten abgeben können? Ich glaube      
  nicht, daß dies weder nach rechts= noch nach physischen Gründen geschehen      
  könne: Auf diese Weise müßte z. e. manche Mutter beschuldigt      
  werden können, sie habe sich mit Thieren fleischlich vermischt; denn ich      
  habe unter andern in Leipzig einmahl ein 9 Iähriges Kind gesehen,      
  daß auf dem ganzen Leibe fast mit Hirsch Haaren bewachsen und sonst      
  auch, besonders an den Füßen, eine Hirsch=ähnliche Bildung hatte; das      
  leztere wird auch durch das Beispiel des leztverstorbenen Kurfürsten      
  von Sachsen erläutert. Überdem so kommen hundert Fälle vor, wo      
  man Ähnlichkeiten zwischen fremden Menschen in großer Maaße entdekt,      
  ohne daß der Verdacht statt haben kann, daß der eine dem andern      
  sein Daseyn zu verdanken. Und nun wäre auch noch zu untersuchen, ob      
  diese Ähnlichkeit des Kindes mit dem Ungenannten würklich da ist: die      
  Einbildungskraft kann hier vieles entdekken u. s. w.      
           
  Wenn nun der Ungenannte sich nicht bis zur Gewißheit überzeugen      
  kann (:So bald er einmahl Gelegenheit hat, einen erfahrnen Natur= und      
           
  Arznei-kundigen zu sprechen, so wird er ihm unter andern Nahmen disen      
  ganz seltsamen Fall - der zu ganz neuen Theorien Anlaß geben könnte      
  erzählen, und seine Meinung darüber einhohlen:), aus moralischen und      
  physischen Gründen, sich nicht gewiß überzeugen kann, so will er sich      
  dadurch nicht von den äußern Pflichten lossprechen, die ihm der äußere      
  Anschein der Sache, der wider ihn ist, auflegen: sondern er achtet sich      
  zu ihrer Erfüllung verbunden. Und da jeder rechtschaffene Mann auch      
  dem äußeren Anschein der Dinge sich gemäß bezeigen, und seine Pflichten      
  nach denselben bestimmen muß (:indem er genöthigt ist, sehr oft von      
  seiner innern Überzeugung abzugehen, wenn er dadurch, daß er ihr      
  Folge leistete, Übel stiften könnte:), so wird der Ungenannte, da dieser      
  äußere Anschein noch mehr redend gegen ihn geworden ist, auch hierauf      
  Rüksicht nehmen, und das ausgesezte IahrGeld verdoppeln, so daß die      
  Person von nun an Monathlich 1 rthl. zur Verpflegung des Kindes      
  erhalten soll. Mehr kann der Ungenannte in seiner gegenwärtigen      
  dringenden Lage nicht verwilligen, wenn er nicht noch weit höhere      
  Pflichten verlezzen will; Unterdeßen wird der Ungenannte, wenn er in      
  günstigere Umstände kommt, alsdann noch ein Mehreres thun, was ihm      
  gegenwärtig die Ohnmöglichkeit nicht zu thun verstattet. Alle diese      
  äußern Pflichten wird der Ungenannte erfüllen; allein man wird doch      
  nicht so grausam seyn, und seinen Glauben, seine innere Überzeugung      
  (:die nun einmahl durch gewiße Gründe in ihm entstanden ist, die er      
  sich nicht mit Gewalt aus seinem Kopf wegdenken kann:) zwingen      
  wollen. -      
           
  Im übrigen fühlet der Ungenannte mit der bittersten Empfindung      
  diesen ganzen Vorfall, indem es ihm unendlich wehe thut, daß er durch      
  seine Schwachheit, gewißermaßen ein Ärgerniß gegeben, und dieser      
  Person so viele Veranlaßung dadurch gegeben, zu einer gewißen That      
  ihn als den alleinigen Urheber, mit so viel äußerer Warscheinlichkeit      
  anzugeben; alle die daraus entstehenden Folgen, wirft sich der Ungenannte      
  aufs bitterste vor: sie machen das Maaß seines Leidens voll:      
  sein ganzes Leben fast war eine Kette von Übeln; der Pfad seines      
  Lebens ging stets über Dornen. Wüsten Ew. Wohlgeb. die wahre,      
  die ganze Geschichte von dem Leben des Ungenannten, so würden Sie      
  ihm einen Antheil von Ihrer Achtung und Ihrem Mitleiden nicht      
  versagen können. Dieser Ungenannte hat nicht immer blos durch sich      
  selbst gelitten, sondern er hat auch fremde Leiden theilen müßen; und      
           
  das hieraus entspringende Gefühl, ist für ihn oft noch bittrer geworden,      
  als sein eignes Leiden selbst. Schon von seinem Vater, väterlicher      
  Seite, und ältervater, mütterlicher Seite, haben diejenigen, denen er      
  sein Daseyn zu danken, die schmerzhaftesten Unfälle erlitten; und die      
  Geschichte von der Familie des Ungenannten zeigt, daß bisweilen das      
  Unglük eine Familie ganze Geschlechts=Folgen hindurch, gleichsam recht      
  übernatürlich verfolge: Die Geschichte des Ungenannten und seiner      
  Familie zeigt: daß die Bosheit immer triumphire und die Redlichkeit      
  unterliegen müße: diese Warheit ist mit blutigen Zügen in mein Herz      
  geäzt. - Doch diese Geschichte gehöret hier nicht her.      
           
  Im übrigen, will der Ungenannte die Person, da sie bei Ihrer      
  Außage beharret, gar nicht in seinem Herzen verdammen und beschuldigen;      
  er gibt die Möglichkeit zu, daß sie die Warheit rede: Nur kann      
  er sich sein einmahlige Überzeugung nicht mit Gewalt nehmen; doch      
  soll dise Überzeugung, keine Schuld auf die Person häufen, der der      
  Ungenannte alles vergiebet, so wie sie ihm mag vergeben, wenn Er      
  ihr durch seine innere Uberzeugung, in seinem Herzen Unrecht thun      
  sollte.      
           
  Die gegenwärtigen schlechten Umstände der Person, können dem      
  Ungenannten schlechterdings nicht beigemeßen werden, man würde dadurch      
  die größte Grausamkeit gegen ihn begehen: sie hat von      
  dem Ungenannten 60 rthl baar erhalten; hat sie diese schon durchgebracht,      
  so liegt die Schuld an ihrer schlechten Wirthschaft, nicht aber      
  an dem Ungenannten: wenn also die bewußte Person zu einer unsinnigen      
  Verzweiflung sollte hingerißen werden, so würde es unmenschlich      
  von denen seyn, die die Schuld hieran dem Ungenannten beimeßen      
  wollten. - Daß er die Auszahlung des Geldes keinem andern anvertraut,      
  ist Ursach, weil er keinen andern als HE Iohn finden konnte,      
  der sich damit abgeben wollte; dieser Unterschrieb den Contrakt, sagte      
  für die jedesmahlige Zahlung gut: der Ungenannte glaubte nicht, da      
  ein Mann von nicht einmahl mittelmäßiger Denkungsart, im Stande      
  wäre, auf solche Weise das ihm anvertraute Geld (:vorzüglich unter      
  diesen Umständen:) zu veruntreuen: es sezt dies eine so niedrige      
  Denkungsart zum voraus, daß man, wenn man nicht sein eignes      
  Herz in Verdacht bringen will, sie schwerlich einem Manne wie HE      
  I. (:so wenig unbescholten auch sein Charakter dem Ungenannten bekannt      
  war:), zutrauen konnte. - Der Ungenannte wird HE Iohn      
           
  nicht zur Bezahlung antreiben; denn wenn er sich so vor seinen Augen      
  demaskirt sähe, so müßte ihn dies zu einer niedrigen ausgelaßenen      
  Rache reizen, wozu sich in solchen Fällen allemahl Menschen hinreißen      
  laßen, die an ihrer Ehre nichts mehr zu verliehren haben: Und der      
  Ungenannte mag HE I. nicht Gelegenheit geben, sich als einen noch      
  schlechtern Menschen zu zeigen. Ich habe HEn Brahl gebethen, ob er      
  mit guter Manier das Geld von ihm wieder kriegen kann, etwa durch      
  Wollentait, denn ihm selbst will ich just diese unangenehme Commission      
  nicht zumuthen; Wollenteit, wenn er im Nahmen der Person, nach      
  von ihr gebrachter Quittung, von ihm das Geld abforderte. - Also      
  darf man dem Ungenannten (:der das Geld immer richtig übermacht      
  hat:) auch hierin nicht gradzu die Schuld von den schlechten Umständen      
  der Person beimeßen. Denn dazu kann sich der Ungenannte      
  nicht verpflichten, die Person selbst zu erhalten: diese muß arbeiten:      
  seine Pflicht kann sich blos auf das Kind erstrekken, worüber er sich      
  auch schon vorhin erklärt hat. - Da von dem Ungenannten betheuret      
  werden kann, daß er im strengsten Verstande, kein Verführer der      
  Tugend bei dieser Person gewesen (:die auch nicht eine Nüance von      
  irgend einem solchen Gefühl geäußert, sondern sich blindlings hingegeben      
  hat:) ist: Er hat daher glaube alles gethan, was nur je ein Mensch      
  in seiner Lage thun konnte, wenn er ihr 60 rthlr gegeben, da die      
  Gesezze in solchem Falle, wenn für den Unterhalt des Kindes gesorgt      
  wird, selten über 1O rthlr bestimmen. Dem Ungenannten also auch      
  von dieser Seite Vorwürfe und Beschuldigungen machen wollen, dies      
  hieße: ihn (:deßen Herz so schon so unendlich leidet, das so vieles tragen      
  muß:) aufs bitterste kränken, ihn grausam behandeln: Der Ungenannte      
  kann also nicht befürchten, daß man von allen diesen nunmehr berührten      
  Seiten Schuld über ihn haufen wird; sollte es doch geschehen,      
  so wird es ihn zwar unendlich schmerzen, doch hat er aber so viele      
  veste Grundsäzze, daß er immer wird die Ueberzeugung in sich rege      
  erhalten können, daß er in seiner Lage, nach Ehre und Gewißen gehandelt      
  hat.      
           
  Es erfolgen anbei an Ew. Wohlgeb. noch 9 rthlr die ich gehorsamst      
  bitte HE Brahl auszuzahlen, der sie nebst den schon dort angekomm[n]en      
  3 rthlr, der bewußten Person izt gleich baar auszahlen, und      
  denn anfangen soll, ihr jeden Monath 1 rthlr für das Kind zu geben.      
  Vergeben mir Ew. Wohlgeb. daß ich Dieselben noch zum lezten Mahle,      
           
  durch Überschikkung des Geldes belästige; es wird von nun an, diese      
  vors erste, ganz durch HE Brahl geschehen, bis ich drauf denken kann,      
  wo ich etwa einen ganz anßäßigen Mann in K. finde, der die Auszahlung      
  für den Ungenannten über sich nimt: Gegenwärtig hat mein      
  so sehr mitgenommener Kopf nicht die Kraft, hierauf zu sinnen; welches      
  aber in der Folge geschehen soll, um die Sache ganz in Ordnung zu      
  bringen. Mir thut es unendlich wehe, daß ich Ew. Wohlgeb. bisher      
  hiedurch habe belästigen müßen; ich bitte Dieselben dafür aufs innigste      
  um Vergebung, welches ich mich um desto mehr zu thun verbunden      
  fühle, da Ew. Wohlgeb. der Mann sind, der schon so viele Mühwaltungen      
  um meinetwillen unternommen, durch die er sich nicht nur mir,      
  sondern allen Menschen (:wenn seine That ihnen bekannt seyn sollte:),      
  die irgend Gefühl für Tugend haben, verherrlichen mußte. Halten      
  Sie mich nicht für fähig, daß ich, unter irgend einem Verhältniß des      
  Lebens, Dero gegen mich sich so sehr ausgezeichnete Denkungsart vergeßen      
  könnte: Undankbarkeit ist ein schändliches Laster. Das würde      
  der seeligste Augenblik meines Lebens seyn, in dem ich Ihnen zeigen      
  könnte - ganz zeigen könnte: welch ein hohes Gefühl ich von Ihrer      
  Tugend habe.      
           
  Da Ew. Wohlgeb. wißen, wie nahe mir der Ungenannte angeht,      
  so werden Sie es mir selbst als Pflicht auflegen, seine Vertheidigung      
  zu unternehmen: Denn derjenige verdient aller Verachtung, der gleichgültig      
  gegen seine Ehre und gegen seinen Ruf als rechtschaffener      
  Mann ist. Ich habe den Ungenannten nicht sowohl zu vertheidigen,      
  als vielmehr nur das rechte Licht über seine Handlungen zu verbreiten,      
  gesucht: erlauben Sie mir, daß ich hierin noch fortfahre. Laßen Sie      
  mich daher noch einige Anmerkungen über das Betragen des Ungenannten,      
  gegen die bewußte Person, machen: Ich glaube nicht, da      
  man ihm den Vorwurf machen können: daß seine Absicht gewesen, die      
  Person zu hintergehen, oder sich irgend eines unedlen Mittels gegen      
  sie zu bedienen. Doch um den Ungenannten in seinem Verfahren      
  ganz darzustellen, muß ich etwas weiter aushohlen: Ew. Wohlgeb.      
  haben freilig nicht Gelegenheit gehabt, die ganze Geschichte des Ungenannten      
  zu erfahren, und sein inneres Seelen=System ganz kennen      
  zu lernen (:welches beides nöthig seyn würde, um den Ungenannten      
  nach seinem wahren Charakter zu beurtheilen: einzelne abgerißene Züge,      
  können uns außer ihrem Zusammenhang oft ein moralisches Ungeheuer      
           
  darstellen:), Dieselben wißen aber, welch einen seltsamen Entschluß [er]      
  vor zwei Iahren gefaßt hatte: Über diese That, die er auszuführen im      
  Begrif war, hatte er ein eignes Buch geschrieben. Dieses Buch liegt      
  unter den übrigen Urkunden seiner Lebens=Geschichte (:denn der Ungenannte      
  hat die merkwürdigsten Begebenheiten seines Lebens, wie      
  auch die bei seiner Seele gemachten besondern Erfahrungen zu Papier      
  gebracht:), und kann, wenn es in die Hände einiger weisen und edlen      
  Menschen geräth, einmahl nach seinem Todte, seinen Charakter ins      
  wahre Licht sezzen. Bei jedem der dieses Buch liset (:wenn er nicht      
  einen von Vorurtheilen ganz eingenommenen Kopf hat:), muß daßelbe      
  dem Charakter des Verfaßers Ehre und keine Schande bringen: ich      
  meine hier gar nicht, als wenn die Lesenden, in gewißen den Hauptgegenstand      
  des Buchs betreffenden Grundsäzzen, alle mit dem Verfaßer      
  müßten einstimmig seyn; dies ist hiezu gar nicht von Nöthen. Doch      
  genug von diesem. - Ich erinnere hier nur gleich zum voraus: In      
  seinem ganzen Verfahren, ist der Ungenannte einen graden offnen      
  Weg gegangen; auch wie er sich Ew. Wohlgeb. entdekte, hat er nichts      
  verborgen, sondern die ganze Sache dargelegt, wie sie war, und zur      
  Warheits=Bestättigung derselben, alles mit Urkunden belegt, die in Ew.      
  Wohlgeb. Händen gewesen. Diese Warheitsliebe und Offenheit des      
  Ungenannten, kann wenigstens etwas zum Voraus im Allgemeinen      
  ein gutes [Vorurtheil von ihm erwekken].      
           
  Noch erinnere ich hiebei: HE Brahl, der einer der ältesten Bekannten      
  des Ungenannten in K. gewesen, den er durch HE Haman      
  kennen lernen, weiß verschiedne Begebenheiten deßelben, ehe er nach      
  Preußen gegangen; doch ist ihm nicht die ganze Geschichte deßelben      
  (:auch nicht die Verhältniße deßelben, die Ew. Wohlgeb. nur allein      
  bewußt sind; von dieser ganzen Lage des Ungenannten, weiß er gar      
  nichts:) bekannt. Auch ist ihm, so wie HE Hamann, der Trübsinn      
  und fürchterliche Melancholie, in der sich der Ungenannte immer in K.      
  befunden, bekannt. Alles dies veranlaßte in den letztern Tagen der      
  Abreise des Ungenannten, daß er endlich (:wozu noch ein gewißer      
  Brief an den Ungenannten kam, den HE. Brahl gelesen:) sich gegen      
  ihn herausließ, er habe über diese seltsame Materie ein eignes Buch      
  geschrieben; jener mußte ihm versprechen, das Buch zum Durchlesen      
  zu schikken: denn es lag weit entfernt wo in Verwahrung. Herr Brahl      
  hat dies Buch gelesen und zurükgeschikt. Haben Ew. Wohlgeb. irgend      
           
  Trieb, so können Sie sich bei HE Brahl ohngefehr nach dem Geist      
  dieses Buchs erkundigen, wenn sich nehmlich eine Gelegenheit finden      
  sollte, wo Ew. Wohlgeb. es für bequem und gut finden sollten, eine      
  solche Erklärung gegen HE Brahl zu äußern. Ich gedenke hievon      
  gegen HE B. mit keinem Wort etwas, sondern es ist ein bloßer      
  augenbliklicher Einfall, den ich gegen Ew. Wohlgeb. vorbringe.      
           
  Ich sehe, ich werde sehr weitläufig, aber einem Manne wie mir,      
  dem sein Kopf so mitgenommen ist, kann es weniger verarget werden,      
  wenn er bei einem solchen Zustand, nicht immer im rechten Zusammenhang      
  denkt und schreibet. - Ich erlaube mir hier noch eine Bemerkung:      
  lange und harte Prüfungen des Schiksaals, die immer die      
  Seele erschüttert halten, können auch zuweilen den edelsten und rechtschaffensten      
  Mann so außer sich selbst sezzen, gewißermaßen konfu      
  machen, daß er sein System auf einige Zeit vergißt, und wie ein      
  Mensch handelt, der im Schlaf ist, oder im Rausch ist. Bei nur      
  Mittelmäßiger Unterstüzzung des Glüks, halte ich es für gar keine      
  Kunst, immer tugendhaft zu handeln: allein, wenn ein Mensch, sich      
  ganz immer vom Glük verlaßen sieht, immer Blößen geben muß, ohne      
  das Glük auf seiner Seite zu haben, sie mehr dekken zu können      
  ein solcher kann bisweilen durch die ihm wiederfahrnen gewaltsamen      
  Anstrengungen, in Verwirrungen gerathen, in denen er hernach für      
  sich selbst erschrekken muß. Einem anthaltenden Unglük, wird also selten      
  die beste Tugend so widerstehen können, daß sie nicht zu Zeiten, Blößen      
  geben sollte - -      
           
  Doch ich komme auf den Ungenannten zurük: Als jene für ihn      
  fatale Begebenheit zum Ausbruch kam, so war er der Ausführung jenes      
  vorhin gedachten Entschlußes nahe. Allein wie betrug sich nun hier      
  derselbe? Anstatt daß bei einem andern, der, durch wilde Grundsäzze      
  und Verdorbenheit seines moralischen Charakters, auf diesen Entschluß      
  gekommen, eine solche widrige Begebenheit, die Ausführung deßelben      
  würde beschleunigt haben, würkte sie bei dem Ungenannten das Gegentheil:      
  Nun verwarf er auf einmahl diesen Entschluß, suchte sich gewaltsam      
  aus seiner Seelen=Lage herauszukämpfen, um von izt einen      
  neuen Plan des Lebens zu verfolgen. Ich glaube, daß nur ein Mann      
  von Ehre und Gewißen so handeln kann, wie der Ungenannte diesem      
  Falle that: ich will hiebei garnicht von ihm behaupten, daß er in      
  seinen Grundsäzzen, die ihn vorhin zu diesem Entschluß vermochten,      
           
  nicht sollte geirrt haben können. Allein bisweilen kann ein Irthum,      
  aus einer edlern Quelle entspringen, als selbst die Warheit. Partheiligkeit      
  kann mich hier gegen den Ungenannten hinreißen: Aber nach      
  meiner gegenwärtigen Überzeugung, kann ich nicht begreifen, daß sein      
  Irthum sollte aus unedler Quelle hergekommen seyn: die unmittelbare      
  Quelle war nicht unedel; allein ich will ihn nun nicht deswegen ganz      
  vertheidigen und entschuldigen, wenn er durch Schwächen und Blößen      
  in den vorhergehenden Zeiten Anlaß dazu gegeben, daß er in eine      
  solche Seelen=Lage kam, daß dem innern Verhältniß seiner Empfindungen      
  nach, jener Entschluß, eine nothwendige Modifikation seiner      
  Seele wurde - aber o dies war eine series catena rerum ! Der      
  Grund hievon lag in seinem ganzen Geschik: Sie müßten die Geschichte      
  der Empfindungen und der Umstände des Ungenannten von seinem      
  8ten Iahre an wißen - O wünschen Sie ihm mit mir, daß er nur      
  einige Iahre Ruhe izt genüßen möge, damit er alle seine geistigen      
  und moralischen Kräfte, die so lange Zeit durch ein Fieber herumgerißen      
  worden - daß sie sich oft mehr durch Konvulsionen, als      
  ordentliche Bewegungen des Lebens äußern können - zusammenfaßen,      
  ganz sich in seinem Innersten zusammenhalten könne, um seinem innern      
  und äußern Daseyn, eine gewiße Konsistenz zu geben: Wie kann ein      
  Embryo im Mutterleibe ganz ausgeboren werden, wenn die Natur      
  immer in ihren dahin arbeitenden Würkungen gestört wird? - Mögten      
  Sie doch ganz in die Seele des Ungenannten - mögten Sie doch      
  ganz in meine Seele lesen können, indem ich dieses hier niederschreibe! ! !      
       
           
  So lange noch Leben und Kraft in einem Wesen ist, sucht es der      
  Zerstörung seiner Existenz entgegen zu arbeiten: ein Moralisches Wesen      
  muß schon der Verwesung nahe seyn, wenn es nicht mehr seiner Zerstörung      
  entgegen arbeitet: Sie wißen, in welchem nahen Verhältniß      
  ich mit dem Ungenannten stehe: wenn ich denn ia sollte partheiisch      
  in seiner Vertheidigung seyn, so glauben Sie, daß die Kräfte seiner      
  moralischen Existenz gewißermaßen im Aufruhr sind, um befürchteten      
  Zerstörungen entgegen zu arbeiten. - Der Ungenannte weiß fast von      
  keinen Freuden und Glückseeligkeiten des Lebens, nur diesen einzigen      
  Trost, diese einzige Nahrung seiner Seele wünscht er zu seiner unentbehrlichen      
  Erhaltung: die wahre Achtung einiger wenigen Edlen zu      
  genüßen: Seine Seele sucht sich aus ihrem excentrischen Lauf, in den      
           
  sie gewaltsam hingerißen wurde, in den rechten Kreislauf hinzuarbeiten      
  - -      
           
  Ich kehre zum Vorhergehenden zurük: Als der Ungenannte, durch      
  die ihm zugestoßene widrige Begebenheit, jenen Entschluß aus seiner      
  Seele riß, sich aber von der Person in der Hauptsache fälschlich beschuldigt      
  glaubte, so bediente er sich keiner unedlen Mittel, um die      
  Warheit herauszubringen; Zu diesem Behuf entdekte er sich einem      
  angesehenen Manne, der eine obrigkeitliche Würde bekleidete, und der      
  ihm selbst gefärlich werden konnte, wenn er nicht die rechten Wege      
  betreten - oder sonst unedle Absichten verrathen sollte. Wenn der      
  Ungenannte einen irgend verdekten bösen Willen in seinem Herzen gehabt,      
  so läßt sich dies sein Betragen gar nicht damit reimen, weil er      
  durch daßelbe, sich in seinen auszuführenden Absichten, selbst Zaum und      
  Gebiß anlegte: Nur ein höchst dummer Bösewicht, kann auf solche      
  Weise, seinen Plan anlegen. - Der Ungenannte ging also einen ganz      
  geraden offnen Weg, so wie jeder rechschaffne Mann, der keine böse      
  Vorsäzze im Schilde führt. Er ließ also durch eine gerichtliche Person,      
  jene Person vernehmen, ob sie bei ihrer Aussage beharre. Und als      
  sie es nun that, so bediente er sich auch in der Folge keiner unedlen      
  Mittel. Der Ungenannte both alle seine Kräfte auf, um die Person      
  befriedigen zu können, und gab ihr hernach alles, was ihm nur in      
  seiner Lage möglich war aufzubringen. Nur erst wie er alles dies in      
  Ordnung gebracht, dachte er auf seine Abreise von K. Und auch hiebei      
  ging er einen graden offnen Weg. Ia, er nahm den Wollentait, zum      
  Curator der Person; just eben den Menschen, der als Commissarius      
  unter den Befehlen jenes angesehenen Mannes stand: Hätte er irgend      
  böse Absichten gehabt, so würde er am wenigsten diesen Menschen hiezu      
  gewählt haben, weil dieser am ersten die schlimmen Absichten des Ungenannten      
  entdekken und vereiteln konnte u.s.w.      
           
  Hier habe ich alles gesagt, was mir eben in der Seele gegenwärtig      
  geworden ist, um das ganze Betragen des Ungenannten ins      
  rechte Licht sezzen zu können. Entscheiden Sie selbst, ob ich das zu      
  seiner Vertheidigung vorgebracht, was ich nach Ehre und Gewißen      
  konnte, um nicht niedrige Par=theiligkeit . . . . . . .      
           
  Laßen Ew. Wohlgeb. es sich nicht befremden, wenn Sie ein andres      
  Siegel auf diesem Briefe erblikken. Ich habe einen innigen, edlen      
  Herzensfreund in G., an den wende ich mich, und bitte ihn um den      
           
  Vorschuß des Geldes, da deßen schleunige Absendung nöthig ist. Ich      
  schikke ihm diesen Brief offen, wie auch Dero Brief an mich, damit      
  er meine gegenwärtige wahre Lage wiße, und einsehe, daß mich nur      
  eine höchste Nothwendigkeit dringen konnte, hierin zu seiner Freundschaft      
  meine Zuflucht zu nehmen. Dieser Freund ist einer der edelsten,      
  die der Himmel nur selten zur Wohlthat für die Menschen geboren      
  werden läßet: ich darf also nicht das geringste Bedenken tragen, ihm      
  den Inhalt dieser Briefe wißen zu laßen.      
           
  Mit kümmernden Herzen denke ich immer daran, daß ich noch nicht      
  im Stande bin, Ew. Wohlgeb. den mir gethanen Vorschuß zu ersezzen:      
  O möchte ich doch darüber in Ihrem Herzen gerechtfertigt seyn! Laßen      
  Sie mir nur noch eine kleine Weile Zeit, um daß ich mich etwas in      
  Positur sezzen kann.      
           
  Meine Kränklichkeit und langes AugenÜbel, wie auch andre verdrüßliche      
  Familien=Geschäfte, die aber nothwendig waren, haben mir      
  den größten Theil der Zeit von diesem Winter geraubt, ohne daß ich      
  darin so viel zu stande bringen können, als ich gedacht. Mein Wille      
  ist noch immer auf eine Universität zu gehen, ob nach Halle oder      
  Göttingen, weiß ich noch nicht; vor Göttingen scheue ich mich, wegen      
  der dortigen Verhältniße, da mir unsäglicher Verdruß bevorstehen      
  möchte. Nach Halle hätte ich am Meisten Lust, man hat es mir auch      
  aus Berlin her angerathen. Da aber starke Auslagen dazu gehören,      
  das akademische Leben anzu[t]reten, so muß ich vorizt noch für den      
  Buchladen arbeiten, um die etwa nöthige Summe zusammen zu haben.      
  Gegenwärtig arbeite ich über das alte Aegypten; meine Betrachtungen      
  darüber werden unter dem Titel: Memnonium , ans Licht treten. So      
  viel ich weiß, ist der Gang meiner Gedanken in dieser Schrift ganz      
  neu. der Göttinger Recensent sagt über meine leztere Schrift, daß sie      
  viele Paradoxen enthalte, diese dürfte auf die Art deren noch mehrere      
  enthalten: Mit HE Meiners werde ich, um seine ganz falsche Meinung      
  über Aegypten (:denn er gräcisirt und versteht gar nicht sich in den      
  wahren Orientalismus hineinzudenken:) zu widerlegen, auch noch manches      
  zu thun kriegen. Ich suche mir in dieser Schrift eine ganz neue Bahn      
  zu brechen. - Es sind schon häufig Anzeigen meiner Schriften erfolgt,      
  mit denen ich, so viel ich deren gelesen, noch möglich zufrieden bin,      
  die Göttinger aus genommen.      
           
  Ich stehe izt mit dem Statthalter von Dalberg in Erfurt im      
           
  Verhältniß; vor einigen Tagen erhielt ich aus Wien von ihm, ein sehr      
  verbindliches Schreiben: Vieler Kampf wird mir noch freilig bevorstehen:      
  wenn ich nur dabei Gesundheit des Leibes und Ruhe der Seele      
  behalte, so hoffe ich doch zu überwinden. Von Ihrem Herzen bin ich      
  überzeugt, daß Sie mir dies wünschen, und an meinem Schiksaal      
  Theil nehmen werden. - Von dem Prediger Villaume kommt diese      
  Ostern eine Schrift über das Übel heraus, dieser hat sich zum Gegner      
  meiner Theorie aufgeworfen; er hat mir seine weitläufigen Einwürfe      
  mitgetheilt, ich schrieb ihm, er möchte sie alle drukken laßen, indem      
  ich in der Folge, da ich diese Materie wieder von neuen bearbeiten      
  würde, darauf Rüksicht nehmen und dieselben beantworten dürfte: Mir      
  ist für diesen Einwürfen nicht sehr bange. Aber bestimmter werde ich      
  alsdenn meine Säzze ausführen. Was Ew. Wohlgeb. wegen eines      
  politischen Despotismuß fürchten, fürchte ich auch - aber auch von      
  der andern Seite her, deren ich schon neulig gedacht. Die Großen      
  sind von Schwärmerei angestekt - und die Iesuiten - - Zukünftigen      
  Monath werde ich, was alle dise Sachen betrift, viel neues erfahren,      
  indem ein ansehnlicher vornehmer Mann aus Berlin, der mein Freund      
  ist, hier durch reiset und sich einige Tage hier aufhalten wird: schriftlich      
  in Briefen getrauet man sich nicht viel zu schreiben. Eine gewiße      
  Macht, die so sehr viel zur Denkfreiheit beigetragen, ist izt sehr      
  im Druk. -      
           
  Mit der größten Verehrung bin ich      
           
    Ew. Wohlgeb.      
  den 3 April 84 Gehorsamster Diener      
           
           
           
     

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