Kant: Briefwechsel, Brief 221, An Iohann Schultz. |
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| An Iohann Schultz. | |||||||
| 17. Febr. 1784. | |||||||
| Es gereicht mir zu besonderem Vergnügen, von HEn Dengel zu | |||||||
| vernehmen: daß Ew: HochEhrwürden in Bereitschaft sind, Ihre gründliche | |||||||
| und zugleich populaire Bearbeitung der Critick in Druck zu geben. | |||||||
| Ich war zwar Vorhabens, einiges, was mir zu Verhütung des Misverständnisses, | |||||||
| hin und wieder auch zu leichterer Faßlichkeit meiner | |||||||
| Schrift, dienlich zu seyn schien, Ihrer gütigen Wahl, es zu Ihrer Absicht | |||||||
| zu gebrauchen oder nicht, vorzulegen; allein auswärtige und einheimische | |||||||
| Zerstreuungen, mitunter auch gewöhnliche Unpäßlichkeit, | |||||||
| unterbrachen mehrmalen diese Absicht und nun ists mir lieb, daß nichts | |||||||
| davon einigen Einflus auf Ihr Werk gehabt hat, indem es dadurch | |||||||
| desto größere Gleichförmigkeit der Bearbeitung Ihrer aus dem Durchdenken | |||||||
| des Gantzen selbst gefaßten Idee und mithin Originalität behält. | |||||||
| Nur eine einzige Bemerkung erlauben mir Ew: HochEhrw:, die | |||||||
| ich bey Gelegenheit eines Billets, womit Sie mich den 22 Aug. a. p. | |||||||
| beehrten, zu communiciren die Absicht hatte und die mir nur allererst | |||||||
| jetzt, bey Durchsehung der übrigen Papiere, wiederum vorkömmt, die | |||||||
| ich bitte in nähere Erwegung zu ziehen, ob sie nicht verhüten könne, | |||||||
| daß nicht in einem der Grundstücke des Systems zwischen unsern beyderseitigen | |||||||
| Meynungen eine große differentz obwalte. Diese Bemerkung | |||||||
| betrift den von Ew: HochEhrw : damals geäußerten Gedanken, daß es | |||||||
| wohl nur 2 Categorien von jeder Classe geben möge, weil die | |||||||
| dritte aus der ersten und zweiten verbunden entspringt; eine Einsicht, | |||||||
| welche Sie Ihrer eigenen Scharfsinnigkeit zu verdanken hatten, woraus | |||||||
| aber, meiner Meynung nach, jene Folgerung nicht fließt, daher denn | |||||||
| auch eine solche Abänderung, (die dem gantzen System den sonst sehr | |||||||
| gleichformigen Zusammenhang rauben würde) meinem Urtheile nach | |||||||
| nicht nöthig ist. | |||||||
| Die dritte Categorie nämlich entspringt zwar freylich durch die | |||||||
| Verknüpfung der ersten und zweyten, aber nicht blos durch Zusammennehmung, | |||||||
| sondern eine solche Verknüpfung, deren Möglichkeit | |||||||
| selbst einen Begrif ausmacht und dieser Begrif ist eine besondere | |||||||
| categorie; daher auch bisweilen die dritte categorie da nicht anwendbar | |||||||
| ist, wo die zwey erste gelten z. B. Ein Iahr - viel Iahre der | |||||||
| künftigen Zeit - sind reale Begriffe, aber das All der künftigen Iahre | |||||||
| mithin collective Einheit einer künftigen Ewigkeit, die als gantz | |||||||
| (gleichsam absolvirt) gedacht wird, will sich nicht denken lassen. aber | |||||||
| auch da, wo die dritte categorie anwendbar ist, enthält sie immer noch | |||||||
| etwas mehr, als die erste und zweyte für sich und zusammen genommen, | |||||||
| nämlich die Ableitung der zweyten aus der ersten, (welche nicht immer | |||||||
| angeht e. g. so ist die Nothwendigkeit nichts anders, als das Daseyn, | |||||||
| so fern es aus der Möglichkeit geschlossen werden kan, die Gemeinschaft | |||||||
| ist die wechselseitige Caussalität der Substantzen in Ansehung | |||||||
| ihrer Bestimmungen. Daß aber Bestimmungen der einen Substantz | |||||||
| von einer anderen Substanz gewirkt seyn können, ist etwas was man | |||||||
| nicht so schlechthin voraussetzen kan, sondern was zu den Verknüpfungen | |||||||
| gehört, ohne die kein wechselseitige Beziehung der Dinge im Raume, | |||||||
| mithin keine äußere Erfahrung möglich seyn würde. Mit einem Worte: | |||||||
| ich finde daß eben so, wie der Schlussatz in einem Syllogism, ausser | |||||||
| den Handlungen des Verstandes und der Urtheilskraft in den Vordersätzen, | |||||||
| noch eine besondere und der Vernunft specifisch zug[e]eignete | |||||||
| Handlung im Schlussatze anzeigt, (daß nämlich, da der | |||||||
| Obersatz eine allgemeine Regel sagt, der Untersatz aber vom Besondern | |||||||
| zur allgemeinen Bedingung der Regel hinaufsteigt, der Schlussatz vom | |||||||
| Allgemeinen zum besondern hinabgehe, nämlich daß, was unter einer | |||||||
| Bedingung in maiori allgemein gesagt wurde, von dem auch gesagt | |||||||
| werde, was nach der minore unter jener Bedingung enthalten ist) also | |||||||
| auch die dritte Categorie ein besonderer, zum Theil ursprünglicher Begrif, | |||||||
| sey z. B. die Begriffe quantum, compositum, totum gehören unter die | |||||||
| Categorien der Einheit, Vielheit, Allheit; allein ein quantum als compositum | |||||||
| gedacht würde doch noch nicht den Begrif der totalitaet geben, | |||||||
| ausser so fern der Begrif des quanti durch die composition als bestimmbar | |||||||
| gedacht wird, welches nicht bey allen quantis z. B. dem | |||||||
| Unendlichen Raume angeht. | |||||||
| Cw: HochEhrw: werden bey näherer Erwägung diese Bemerkung | |||||||
| richtig und den Umstand, ob eine Abänderung in dem System der | |||||||
| categorien nöthig sey oder nicht, wie ich verhoffe, wichtig finden, um | |||||||
| darauf noch vor der Förderung Ihrer Handschrift zum Drucke rücksicht | |||||||
| zu nehmen, denn es kan Gegnern nichts erwünschteres geschehen, als | |||||||
| wenn sie Uneinigkeit in Principien antreffen. | |||||||
| Doch was verweile ich mich hiebey, da Sie vielleicht diesen nur | |||||||
| flüchtig gefaßten Gedanken schon vorlängst durch eigene Überlegung | |||||||
| wiederum verlassen haben, und übrigens Ihrem Urtheile hierinn, so wie | |||||||
| allen andern Stücken, die völlige Freiheit unbenommen bleibt. Ich | |||||||
| zweifle gar nicht, daß diese Schrift, so wie Ihre sinnreiche Theorie der | |||||||
| Parallellinien, zur Erweiterung und Verbreitung der Kenntnisse und | |||||||
| Ihrem verdienten Ruhme beytragen werde, und bin mit vollkommener | |||||||
| Hochachtung | |||||||
| Ew: HochEhrwürden | |||||||
| gantz ergebenster Diener | |||||||
| I Kant | |||||||
| den 17 Febr: 1784. | |||||||
| N. S. Da ich jetzt Hofnung habe, Ihr Werk im Drucke zu lesen, | |||||||
| so habe die Ehre hiedurch die mir communicirte Blätter mit ergebenstem | |||||||
| Dancke zurück zuschicken. | |||||||
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