| Kant: Briefwechsel, Brief 14 und 15, Von Iohann Georg Hamann. (2 Briefe.) | |||||||
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| Von Iohann Georg Hamann. | |||||||
| (2 Briefe.) | |||||||
| 1759. | |||||||
| - - ah! miser, | |||||||
| Quanta laboras in Charybdi | |||||||
| Digne puer meliore flamma! | |||||||
| HORAT. | |||||||
| Die Gönner Ihrer Verdienste würden vor Mitleiden die Achseln | |||||||
| zucken, wenn Sie wüßten, daß Sie mit einer Kinderphysick schwanger | |||||||
| giengen. Dieser Einfall würde manchem so kindisch vorkommen, da | |||||||
| er über die Unwissenheit Ihrer eigenen Kräfte, und den schlechten | |||||||
| Gebrauch derselben spöttern oder wohl gar auffahren würde. Da ich | |||||||
| nicht weiß, daß Sie Satyren über ihre Lehrbücher lesen; so glaube | |||||||
| ich auch nicht, daß Sie unter den Kindern Ihrer Naturlehre Leute | |||||||
| von guter Gesellschaft verstehen. | |||||||
| Ich nehme also an, H. H. daß Sie in Ernst mit mir geredt, | |||||||
| und diese Voraussetzung hat mich zu einem Gewebe von Betrachtungen | |||||||
| verleitet, die mir nicht möglich ist auf einmal auseinander zu setzen. | |||||||
| Sie werden das, was ich vor der Hand schreiben kann, wenigstens | |||||||
| mit so viel Aufmerksamkeit ansehen, als wir neulich bemerkten, da | |||||||
| die Spiele der Kinder von vernünftigen Personen verdienen, und erhalten | |||||||
| haben. Wenn nichts so ungereimt ist, das nicht ein Philosoph | |||||||
| gelehrt; so muß einem Philosophen nichts so ungereimt vorkommen, | |||||||
| das er nicht prüfen und untersuchen sollte, ehe er sich unterstünde | |||||||
| es zu verwerfen. Der Eckel ist ein Merkmal eines verdorbenen Magens | |||||||
| oder verwöhnter Einbildungskraft. | |||||||
| Sie wollen mein Herr M. Wunder thun. Ein gutes, nützliches | |||||||
| und schönes Werk, das nicht ist, soll durch Ihre Feder entstehen. | |||||||
| Wäre es da, oder wüßten Sie, daß es existirte, so würden Sie an | |||||||
| diese Arbeit kaum denken. "Der Titel oder Name einer Kinderphysik | |||||||
| ist da, sagen Sie, aber das Buch selbst fehlt." - Sie haben | |||||||
| gewisse Gründe zu vermuthen, daß Ihnen etwas glücken wird, was | |||||||
| so vielen nicht gelingen wollen. Sonst würden Sie das Herz nicht | |||||||
| haben einen Weg einzuschlagen, von dem das Schicksal Ihrer Vorläufer | |||||||
| Sie abschrecken könnte. Sie sind in Wahrheit ein Meister in Israel, | |||||||
| wenn Sie es für eine Kleinigkeit halten, sich in ein Kind zu verwandeln, | |||||||
| trotz Ihrer Gelehrsamkeit! Oder trauen Sie Kindern mehr | |||||||
| zu, unterdessen ihre erwachsene Zuhörer Mühe haben es in der Geduld | |||||||
| und Geschwindigkeit des Denkens mit Ihnen auszuhalten? Da überdem | |||||||
| zu Ihrem Entwurf eine vorzügliche Kenntniß der Kinderwelt gehört, | |||||||
| die sich weder in der galanten noch akademischen erwerben läßt; so | |||||||
| kommt mir alles so wunderbar vor, daß ich aus bloßer Neigung zum | |||||||
| Wunderbaren schon ein blaues Auge für einen dummkühnen Ritt | |||||||
| wagen würde. | |||||||
| Gesetzt Kützel allein gäbe mir den Muth gegenwärtiges zu | |||||||
| schreiben; so würde ein Philosoph wie Sie auch dabey zu gewinnen | |||||||
| wissen, und seine Moralität üben können, wo es nicht lohnte seine | |||||||
| Theorien sehen zu laßen. Meine Absichten werden Sie unterdessen | |||||||
| diesmal übersehen; weil die wenigsten Maschinen zu ihrem nützlichen | |||||||
| Gebrauch eine mathematische Einsicht erfordern. | |||||||
| Gelehrten zu predigen, ist eben so leicht als ehrliche Leute zu betrügen: | |||||||
| auch weder Gefahr noch Verantwortung dabey, für Gelehrte | |||||||
| zu schreiben; weil die meisten schon so verkehrt sind, daß der abentheuerlichste | |||||||
| Autor ihre Denkungsart nicht mehr verwirren kann. Die | |||||||
| blinden Heiden hatten aber vor Kindern Ehrerbietung, und ein getaufter | |||||||
| Philosoph wird wissen, daß mehr dazu gehört für Kinder zu | |||||||
| schreiben als ein Fontenellischer Witz und eine buhlerische Schreibart. | |||||||
| Was schöne Geister versteinert, und schöne Marmorsäulen begeistert; | |||||||
| dadurch würde man an Kindern die Majestät ihrer Unschuld | |||||||
| beleidigen. | |||||||
| Sich ein Lob aus dem Munde der Kinder und Säuglinge zu | |||||||
| bereiten! - an diesem Ehrgeitz und Geschmack Theil zu nehmen, ist | |||||||
| kein gemeines Geschäfte, daß man nicht mit dem Raube bunter | |||||||
| Federn, sondern mit einer freywilligen Entäußerung aller Ueberlegenheit | |||||||
| an Alter und Weisheit, und mit einer Verläugnung aller | |||||||
| Eitelkeit darauf anfangen muß. Ein philosophisches Buch für Kinder | |||||||
| würde daher so einfältig, thöricht und abgeschmackt aussehen müssen, | |||||||
| als ein Göttliches Buch, das für Menschen geschrieben. Nun prüfen | |||||||
| Sie sich, ob Sie so viel Herz haben, der Verfasser einer einfältigen, | |||||||
| thörichten und abgeschmackten Naturlehre zu sein? Haben Sie Herz, | |||||||
| so sind Sie auch ein Philosoph für Kinder. Vale et | |||||||
| sapero AVDE ! | |||||||
| Fortsetzung. | |||||||
| Von erwachsenen Leuten auf Kinder zu schlüßen; so traue ich den | |||||||
| letzteren mehr Eitelkeit als uns zu, weil sie unwissender als wir sind. | |||||||
| Und die catechetischen Schriftsteller legen vielleicht, diesem Instinct gemäß, | |||||||
| die albernsten Fragen dem Lehrer, und die klügsten Antworten | |||||||
| dem Schüler in den Mund. Wir müssen uns also dem Stolz der | |||||||
| Kinder wie Iupiter sich der aufgeblasenen Iuno bequemen, die er nicht | |||||||
| anders als in der Gestalt eines vom Regen triefenden und halbtodten | |||||||
| Gugucks um die Pflicht ihrer Liebe angesprochen haben soll, unterdessen | |||||||
| er zu seinen Galanterien sehr anständige und sinnreiche Verkleidungen | |||||||
| wählte. | |||||||
| Das größte Gesetz der Methode für Kinder besteht also darinn, | |||||||
| sich zu ihrer Schwäche herunterzulaßen; ihr Diener zu werden, wenn | |||||||
| man ihr Meister seyn will; ihnen zu folgen, wenn man sie regieren | |||||||
| will; ihre Sprache uud Seele zu erlernen, wenn wir sie bewegen | |||||||
| wollen die unsrige nachzuahmen. Dieser practische Grundsatz ist aber | |||||||
| weder möglich zu verstehen, noch in der That zu erfüllen, wenn | |||||||
| man nicht, wie man im gemeinen Leben sagt, einen Narren an | |||||||
| Kindern gefressen hat, und sie liebt, ohne recht zu wissen: warum? | |||||||
| Fühlen Sie unter Ihren Schooßneigungen die Schwäche einer solchen | |||||||
| Kinderliebe; so wird Ihnen das Aude sehr leicht fallen, und das | |||||||
| sapero auch flüßen; so können Sie, H. H. in Zeit von sechs Tagen sehr | |||||||
| gemächlich der Schöpfer eines ehrlichen, nützlichen und schönen Kinderwerks | |||||||
| werden, das aber kein T - - dafür erkennen, geschweige daß ein | |||||||
| Hofmann oder eine Phyllis aus Erkenntlichkeit Sie dafür umarmen wird. | |||||||
| Diese Betrachtungen gehen darauf hinaus, Sie zu bewegen, da | |||||||
| Sie auf keinen andern Plan ihrer Naturlehre sinnen, als der schon | |||||||
| in jedem Kinde, das weder Heyde noch Türke ist, zum Grunde liegt, | |||||||
| und der auf dle Cultur Ihres Unterrichts gleichsam wartet. Der | |||||||
| beste, den Sie an der Stelle setzen könnten, würde menschliche Fehler | |||||||
| haben, und vielleicht größere, als der verworfene Eckstein der mosaischen | |||||||
| Geschichte oder Erzählung. Da er den Ursprung aller Dinge in sich | |||||||
| hält; so ist ein historischer Plan einer Wissenschaft immer besser als | |||||||
| ein logischer, er mag so künstlich seyn als er wolle. Die Natur nach | |||||||
| den sechs Tagen ihrer Geburt ist also das beste Schema für ein Kind, | |||||||
| das diese Legende ihrer Wärterin so lange glaubt, bis es rechnen, | |||||||
| zeichnen und beweisen kann; und dann nicht Unrecht thut, den | |||||||
| Zahlen, Figuren und Schlüssen, wie erst seinen Ammen zu glauben. | |||||||
| Ich wundere mich, wie es dem weisen Baumeister der Welt hat | |||||||
| einfallen können uns von seiner Arbeit bey dem großen Werk der | |||||||
| Schöpfung gleichsam Rechenschaft ab[zu]legen; da kein kluger Mensch | |||||||
| sich leicht die Mühe nimmt Kinder und Narren über den Mechanismus | |||||||
| seiner Handlungen klug zu machen. Nichts als Liebe gegen uns | |||||||
| Säuglinge der Schöpfung hat ihn zu dieser Schwachheit bewegen können. | |||||||
| Wie würde es ein großer Geist anfangen, der einem Kinde, das | |||||||
| noch in die Schule gienge, oder einer einfältigen Magd von seinen | |||||||
| Systemen und Projeckten ein Licht geben wollte. Daß es aber GOtt | |||||||
| möglich gewesen, uns zwey Worte über den Ursprung der Dinge vernehmen | |||||||
| zu laßen, ist unbegreiflich; und die würkliche Offenbarung | |||||||
| darüber ein eben so schönes Argument seiner Weisheit, als ihre scheinende | |||||||
| Unmöglichkeit ein Beweis unsers Blödsinns. | |||||||
| Ein Weltweiser lieset aber die drey Kapitel des Anfanges mit | |||||||
| eben solchen Augen, wie jener gekrönter Sterngucker den Himmel. Es | |||||||
| ist daher natürlich, daß lauter eccentrische Begriffe und Anomalien | |||||||
| ihm darin vorkommen; er meistert also lieber den heiligen Moses, ehe | |||||||
| er an seinen Schulgrillen und systematischem Geist zweifeln sollte. | |||||||
| Schämen Sie sich also nicht, H. H. wenn Sie für Kinder schreiben | |||||||
| wollen, auf dem hölzernen Pferde der mosaischen Geschichte zu reiten, | |||||||
| und nach den Begriffen, die jedes Christenkind von dem Anfange der | |||||||
| Natur hat, ihre Physick in folgender Ordnung vortragen: | |||||||
| I. Vom Licht und Feuer. | |||||||
| II. Von der Dunstkugel und allen Lufterscheinungen. | |||||||
| IlI. Vom Wasser, Meer, Flüssen. | |||||||
| IV. Vom festen Lande, und was in der Erde und auf | |||||||
| der Erde wächst. | |||||||
| V. Von Sonne, Mond und Sternen. | |||||||
| VI. Von den Thieren. | |||||||
| VII. Vom Menschen und der Gesellschaft. | |||||||
| Mündlich mehr! | |||||||
| - Neglectum genus et nepotes | |||||||
| Respicis AVTOR | |||||||
| Heu nimis longo satiate ludo. | |||||||
| HORAT. | |||||||
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