Kant: Briefwechsel, Brief 11, Von Iohann Georg Hamann

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Iohann Georg Hamann      
           
  d. 27. Juli 1759.      
           
  HöchstzuEhrender Herr Magister,      
  Ich lege es Ihnen nicht zur Last, daß Sie mein Nebenbuler      
           
  sind, und Ihren neuen Freund ganze Wochen genüßen, unterdeßen er      
  sich nur bey mir auf wenige zerstreute Stunden wie ein LuftErscheinung      
  oder vielmehr wie ein schlauer Kundschafter sich sehen läßt.      
  Ihrem Freunde aber werde ich diese Beleidigung nachtragen, daß er      
  sich unterstanden Sie in meine Einsiedlerey Selbst einzuführen; und      
  daß er mich nicht nur der Versuchung, Ihnen meine Empfindlichkeit,      
  Rache und Eyfersucht merken zu laßen, sondern Sie sogar dieser      
  Gefahr ausgesetzt, einem Menschen so nahe zu kommen, dem die      
  Krankheit seiner Leidenschaften eine Stärke zu denken und zu empfinden      
  giebt, die ein Gesunder nicht besitzt. - Dies wollte ich Ihrem      
  Buler ins Ohr sagen, als ich Ihnen für die Ehre Ihres ersten      
  Besuchs dankte.      
           
  Sind Sie Socrates und will Ihr Freund Alcibiades seyn: so      
  haben Sie zu Ihrem Unterricht die Stimme eines Genii nöthig. Und      
  diese Rolle gebührt mir, ohne daß ich mir den Verdacht des Stoltzes      
  dadurch zuziehe - Ein Schauspieler legt seine Königliche Maske, seinen Gang      
  und seine Sprache auf Steltzen ab; so bald er den Schauplatz verläst      
  - Erlauben Sie mir also, daß ich so lange Genius heißen und      
  als ein Genius aus einer Wolke mit Ihnen reden kann, als ich Zeit      
  zu diesem Briefe nöthig haben werde. Soll ich als ein Genius aber      
  reden, so bitte ich mir wenigstens die Gedult und die Aufmerksamkeit      
  aus, womit ein Erlauchtes, Schönes, Witziges und Gelehrtes Publicum      
  jüngst die Abschiedsrede eines Irrdischen über die Scherben einer alten      
  Urne, auf der man mit Mühe die Buchstaben BIBLIOTEK entziffern      
  konnte, überhorchte. Es war ein Project schöne Leiber denken zu      
  lehren. Das kann nur ein Socrates, und kein Herzog, keine Landstände      
  werden durch die Kraft Ihres obrigkeitl. Berufs und Vollmacht      
  ihrer Wahl einen Watson zum genie creiren.      
           
  Ich schreibe episch, weil Sie die lyrische Sprache noch nicht lesen      
  können. Ein epischer Autor ist ein Geschichtschreiber der seltenen      
  Geschöpfe und ihres noch seltenern Lebenslaufes; der lyrische ist der      
  Geschichtschreiber des Menschl. Herzens. Die Selbsterkenntnis ist die      
  schwerste und höchste, die leichteste und ecke[l]hafteste NaturGeschichte,      
  Philosophie und Poesie. Es ist angenehm und nützlich eine Seite des      
  Pope zu übersetzen - in die Fibern des Gehirnes und des Herzens      
  Eitelkeit und Fluch hingegen einen Theil der Encyclopedie durchzublättern.      
  Ich bin noch gestern Abend mit der Arbeit fertig geworden,      
           
  die Sie mir in Vorschlag gebracht. Der Artikel über d. Schöne ist      
  ein Geschwätz und Auszug von Hutchinson. Der von der Kunst ist      
  seichter also süßer als das Gespräch des Engl. über nichts als ein      
  Wort. Bliebe also noch ein einziger übrig, der würklich eine Uebersetzung      
  verdiente. Er handelt von dem Schaarwerk und Gehorcharbeitern.      
  Ieder verständige Leser meines Heldenbriefes wird die Mühe derjenigen      
  aus der Erfahrung kenen, über solche Leute gesetzt zu seyn, aber auch      
  das Mitleiden mit allen Gehorcharbeitern haben, was der Verfaßer      
  meines Artikels mit ihnen hat, und die Misbräuche zu verbeßern      
  suchen, wodurch es ihnen unmöglich gemacht wird gute Gehorcharbeiter      
  zu seyn. Weil ich aber selbst keiner zu werden Lust habe, und kein      
  Amt von der Art auf der Welt verwalte, wo ich von der Laune dererjenigen,      
  die unter mir sind, abhangen darf: so wird dieser Artikel      
  Uebersetzer genung antreffen, die einen Beruf dazu haben. Ein Mann      
  von der Welt, der die Kunst Visiten zu machen versteht, wird immer      
  einen guten Intendant über entreprisen abgeben.      
           
  Auf unsern lieben Vetter wieder zu kommen. Aus Neigung könen      
  Sie diesen alten Mann nicht lieben; aus Eitelkeit oder Eigennutz. Sie      
  hätten ihn kennen sollen zu meiner Zeit, da ich ihn liebte. Damals      
  dachte er wie Sie, HöchstzuEhrender Herr Magister, über das Recht      
  der Natur, er kannte nichts als großmütige Neigungen in Sich Selbst      
  und Mir.      
           
  Sie treffen es, diese schielende Verachtung ist noch ein Rest von      
  Liebe gegen Ihn. Laßen Sie sich warnen und mich der Sappho nachgirren      
       
           
  At Vos erronem tellure remittite nostrum      
  Nisiades matres, Nisiaedesque nurus .      
  Neu vos decipiant blandae mendacia linguae      
  Quae dicit Vobis, dixerat ante mihi .      
           
  Ich glaube, Ihr Umgang ist noch unschuldig, und Sie vertreiben      
  sich bloß die langen Sommer und August Abende. Können Sie mir nicht      
  die Verwirrung und die Schaam eines Mädchen ansehen, das ihre      
  Ehre ihrem Freunde aufgeopfert, und der mit meinen Schwachheiten      
  und Blößen, aus denen ich ihm unter vier Augen kein Geheimnis      
  gemacht, seine Gesellschaften von gutem Tone unterhält.      
           
  Frankreich, das Hofleben und sein jetziger Umgang mit lauter      
           
  Calvinisten sind an allem Unglücke schuld. Er liebt das Menschliche      
  Geschlecht wie der Franzmann das Frauenzimmer, zu seinem bloßen      
  Selbstgenuß und auf Rechnung Ihrer Tugend und Ehre. In der      
  Freundschaft, wie in der Liebe, verwirft er alle Geheimniße. Das heist den      
  Gott der Freundschaft gar leugnen; und wenn der Ovid, sein Leibdichter,      
  ad amicam corruptam schreibt, ist er noch zärtlich genung, ihr die      
  Vertraulichkeit eines Dritten vorzurücken über Ihre LiebesHändel.      
           
  Haec tibi sunt mecum, mihi sunt communia tecum      
  In bona cur quisquam tertius ista venit .      
           
  Daß er anders denkt als er redet, anders schreibt als er redt, werde      
  ich bey Gelegenheit eines Spatzierganges Ihnen einmal näher entdecken      
  können. Gestern sollte alles öffentlich seyn, und in seinem letzten      
  Billet doux schrieb er mir: "Ich bitte mir aus, daß Sie von alle      
  "dem, was ich Ihnen als ein redlicher Freund schreibe, nicht den gering"sten      
  Misbrauch zu unserm Gelächter machen - Unsere Haus Sachen      
  "gehen Sie gar nichts mehr an - wir leben hier ruhig, vergnügt,      
  "menschlich und christlich. Ich habe mich an diese Bedingung so ängstlich      
  gehalten, daß ich mir über unschuldige Worte die mir entfahren      
  und die keiner verstehen konte, ein Gewißen gemacht. Ietzt soll alles      
  öffentlich seyn. Ich halte mich aber an Seine Handschrift.      
           
  Es wird zu keiner Erklärung unter uns kommen. Es schickt sich      
  nicht für mich, daß ich mich rechtfertige. Weil ich mich nicht rechtfertigen      
  kann, ohne meine Richter zu verdammen, und dies sind die liebsten      
  Freunde, die ich auf der Welt habe.      
           
  Wenn ich mich rechtfertigen sollte; so müste ich beweisen,      
           
  1. daß mein Freund eine falsche Erkenntnis Seiner Selbst hat,      
           
  2. eben so falsch einen jeden seiner Nächsten beurtheilt,      
           
  3. eine falsche von mir gehabt und noch hat      
           
  4. die Sache unter uns, im Gantzen und ihrem Zusammenhange,      
  gantz unrichtig und einseitig beurtheilt.      
           
  5. Von demjenigen weder Begrif noch Empfindung hat, was ich      
  und Er bisher gethan und noch thun.      
           
  Daß ich ihn in dem übersehen kann, was ich weiß und nicht weiß, da      
  er gethan und noch thut, weil ich alle die Grundsätze und Triebfedern      
  kenne, nach denen er handelt, da er nach seinem eigenen Geständnis,      
           
  aus meinen Worten und Handlungen nicht klug werden kann. Dies      
  muß Ihnen als eine Prahlerey vorkommen, und geht gleichwol nach      
  dem Lauf der Dinge ganz natürlich zu. Ich bin noch zu bescheiden,      
  und kann ganz sicher gegen einen staarichten mit meinen triefenden      
  rothen Augen prahlen.      
           
  Gegen die Arbeit und Mühe, die ich mir gemacht, würde es also      
  eine Kleinigkeit seyn, mich loßgesprochen zu sehen. Aber unschuldig      
  zum Giftbecher verdammt zu werden! so denken alle Xantippen, alle      
  Sophisten - Socrates umgekehrt; weil ihm mehr um sein Gewißen      
  der Unschuld, als den Preiß derselben, die Erhaltung seines Lebens,      
  zu thun war.      
           
  An einer solchen Apologie mag ich also nicht denken. Der Gott,      
  den ich diene, und den Spötter für Wolken, für Nebel, für vapeurs      
  und Hypochondrie ansehen wird nicht mit Bocks= und Kälberblut versöhnt;      
  sonst wollte ich bald mit dem Beweis fertig werden, daß die      
  Vernunft und der Witz Ihres Freundes wie meine, ein geil Kalb      
  und sein gutes Herz mit seinen edlen Absichten ein Widder mit      
  Hörnern ist.      
           
  Was Ihr Freund nicht glaubt, geht mich so wenig an, als ihn,      
  was ich glaube. Hierüber sind wir also geschiedene Leute, und die Rede      
  bleibt bloß von Geschäften. Eine ganze Welt von schönen und tiefsinnigen      
  Geistern, wenn sie lauter Morgensterne und Lucifers wären, kan      
  hierüber weder Richter noch Kenner seyn, und ist nicht das Publicum      
  eines lyrischen Dichters, der über den Beyfall seiner Epopee lächelt,      
  und zu ihrem Tadel still schweigt.      
           
  Peter der Große war vom Olymp eingeweyht, die schöne Natur      
  anderer Nationen in einigen Kleinigkeiten an seinem Volk nachzuahmen.      
  Wird man aber durch ein geschoren Kinn jünger? Ein bloß sinnlich      
  Urtheil ist keine Wahrheit.      
           
  Der Unterthan eines despotischen Staats, sagt Montesquieu, muß      
  nicht wißen was gut und böse ist. Fürchten soll er sich, als wenn      
  sein Fürst ein Gott wäre, der Leib und Seele stürzen könnte in die      
  Hölle. Hat er Einsichten, so ist er ein unglückl. Unterthan für seinen      
  Staat; hat er Tugend, so ist er ein Thor sich selbige merken zu laßen.      
           
  Ein Patricius einer griechischen Republick durfte in keiner Verbindung      
  mit dem Persischen Hofe stehen, wenn er nicht als ein Verräther      
  seines Vaterlandes verwiesen werden sollte.      
           
           
  Schicken sich denn die Gesetze der Ueberwundenen für die Eroberer?      
  Der Unterthan ist durch selbige unterdrückt worden? Gönnst du ein      
  gleiches Schicksal deinen Mitbürgern?      
           
  Abraham ist unser Vater - - Wir arbeiten nach Peters Entwurf?      
  wie der Magistrat eines kleinen Freystaats in Italien Commercium      
  und Publicum lallen gelernt hat - Thut eures Vaters Werke,      
  versteht das was ihr redet, wendet eure Erkenntnis recht an und      
  setzt eure Ach! am rechten Ort. Durch Wahrheiten thut man mehr      
  Schaden als durch Irrthümern, wenn wir einen wiedersinnigen Gebrauch von      
  den ersten machen, und die letzten durch routine oder Glück zu modificiren      
  wißen. Wie mancher Orthodox zum Teufel fahren kan, trotz      
  der Wahrheit, und mancher Ketzer in den Himmel kommt, trotz dem Bann      
  der herrschenden Kirche oder des Publici.      
           
  In wie weit der Mensch in die Ordnung der Welt würken kann,      
  ist eine Aufgabe für Sie; an die man sich aber nicht eher wagen      
  muß, biß man versteht, wie unsere Seele in das System der kleinen      
  Welt würket. Ob nicht harmonia praestabilita wenigstens ein glücklicher      
  Zeichen dieses Wunders ist, als influxus physicus den Begrif      
  davon ausdrückt, mögen Sie entscheiden. Unterdeßen ist es mir lieb,      
  daß ich daraus abnehmen kann, daß die Calvinische Kirche unsern      
  Freund so wenig zu ihrem Anhänger zu machen im stande ist, als die      
  lutherische      
           
  Diese Einfälle sind nichts als Äpfel, die ich wie Galathe werfe      
  um ihren Liebhaber zu necken. Um Wahrheit ist mir so wenig als      
  Ihrem Freunde zu thun; ich glaube wie Socrates alles, was der      
  andere glaubt - und geh nun darauf aus, andere in ihrem Glauben      
  zu stöhren. Dies muste der weise Mann thun, weil er mit Sophisten      
  umgeben war, und Priestern, deren gesunde Vernunft und gute      
  Werke in der Einbildung bestanden. Es giebt eingebildte gesunde      
  und ehrliche Leute, wie es malades imaginaires giebt.      
           
  Wenn Sie aus den Recensionen des Herrn B. und meinem      
  Schreiben mich beurtheilen wollen: so ist dies ein so unphilosophisch      
  Urtheil als Luther aus einer Brochure an den Herzog von Wolfenbüttel      
  von Kopf zu Fuß übersehen wollen.      
           
  Der eines andern Vernunft mehr glaubt als seiner eigenen;      
  hört auf ein Mensch zu seyn und hat den ersten Rang unter d. seruum      
  pecus der Nachahmer. Auch das gröste menschliche genie sollte      
           
  uns zu schlecht dazu seyn. Natur, sagt Batteux, man muß kein      
  Spinosist in schönen Künsten noch Staats Sachen seyn.      
           
  Spinoza führte einen unschuldigen Wandel, im Nachdenken zu      
  furchtsam; wenn er weiter gegangen wäre, so hätte er die Wahrheit      
  beßer eingekleidet. Er war unbehutsam in seinen Zeitverkürzungen,      
  und hielt sich zu viel bey Spinneweben auf; dieser Geschmack verräth      
  sich in seiner Denkungsart, die nur klein Ungeziefer verwickeln kann.      
           
  Was sind die Archive aller Könige - und aller Iahrhunderte      
  - Wenn einige Zeilen aus diesem großen Fragment, einige Sonnenstäubchen      
  von diesem Chaos im stande sind uns Erkentnis und Macht      
  zu geben. Wie glücklich ist der, welcher das Archiv desjenigen, der      
  die Herzen aller Könige wie Waßerbäche leiten kann, täglich besuchen      
  kan, den seine wunderbare Haushaltung, die Gesetze seines Reichs etc.      
  nicht umsonst einzuschauen gelüstet. Ein pragmatischer Schriftsteller      
  sagt davon: Die Rechte des Herrn sind köstlicher denn Gold, und vielfein=Gold,      
  süßer denn Honig und des Honigseims tröpfelnde Faden.      
  - Das Gesetz deines Mundes sind mir lieber denn viel 1000 Stück      
  Gold und Silber. - Ich bin gelehrter, denn alle meine Lehrer, denn      
  deine Zeugniße sind meine Rede - Ich bin klüger denn die Alten, denn      
  ich halte - Du machst mich mit deinem Gebot weiser denn meine Feinde      
  sind ; denn es ist ewiglich mein Schatz.      
           
  Was meynen Sie von diesem System? Ich will meine Nächsten      
  um mich glücklich machen. Ein reicher Kaufmann ist glücklich. Da      
  Sie reich werden können, dazu gehören Einsichten und moralische      
  Tugenden.      
           
  In meinem mimischen Styl herrscht eine strengere Logic und eine      
  geleimtere Verbindung als in den Begriffen lebhafter Köpfe. Ihre      
  Ideen sind wie die spielende Farben eines gewäßerten SeidenZeuges,      
  sagt Pope.      
           
  Diesen Augenblick bin ich ein Leviathan, der Monarch oder der      
  erste Staatsminister des Oceans, von deßen Othem Ebbe und Fluth      
  abhängt. Den nächsten Augenblick sehe ich mich als einen Wallfisch      
  an, den Gott geschaffen hat, wie der gröste Dichter sagt, in dem      
  Meere zu scherzen.      
           
  Ich muß beynahe über die Wahl eines Philosophen zu dem      
  Endzweck eine Sinnesänderung in mir hervor zu bringen, lachen. Ich      
  sehe die beste Demonstration, wie ein vernünftig Mädchen einen Liebesbrief,      
           
  und eine Baumgartsche Erklärung wie eine witzige Fleurette an.      
           
  Man hat mir gräuliche Lügen aufgebürdet, HöchstzuEhrender Herr      
  Magister. Weil Sie viele Reisebeschreibungen gelesen habn, so wei      
  ich nicht, ob Sie dadurch leichtgläubig oder ungläubig geworden sind.      
  Die Urheber derselben vergebn ist, weil sie es unwißend thun und wie      
  ein comischer Held Prose reden ohne es zu wißen. Lügen ist die      
  Muttersprache unserer Vernunft und Witzes.      
           
  Man muß nicht glauben, was man sieht - geschweige was man      
  hört. - Wenn zwey Menschen in einer verschiedenen Lage sich befinden,      
  müßen Sie niemals über ihre sinnliche Eindrücke streiten. Ein Wächter      
  auf einer Sternenwarte kann einem in dritten Stockwerk viel erzählen.      
  Dieser muß nicht so tum seyn und ihm seine gesunden Augen absprechen,      
  komm herunter: so wirst Du überzeugt seyn, daß Du nichts gesehen hast.      
  Ein Mann in einer tiefen Grube, worinn kein Waßer ist, kann am hellen      
  Mittag Sterne sehen. Der andere auf der Oberfläche leugnet die Sterne      
  nicht - er kann eben nichts als den Herrn des Tages sehen. Weil      
  der Mond der Erde näher ist, als der Sonne: so erzählen Sie Ihrem      
  Monde Mährchen von der Ehre Gottes. Es ist Gottes Ehre, eine      
  Sache verbergen: aber der Könige Ehre ist eine Sache erforschen.      
           
  Wie man den Baum an den Früchten erkennt: so weiß ich da      
  ich ein Prophet bin aus dem Schicksal, das ich mit allen Zeugen      
  theile, gelästert verfolgt und verachtet zu werden.      
           
  Ich will auf einmal, Mein Herr Magister! Ihnen die Hofnung      
  benehmen sich über gewiße Dinge mit mir einzulaßen, die ich beßer      
  beurtheilen kann wie Sie, weil ich mehr data darüber weiß, mich auf      
  facta gründe, und meine Autoren nicht aus Journalen sondern aus      
  mühsamer und täglicher Hin und Herwälzung derselben kenne; nicht Auszüge      
  sondern die Acten selbst gelesen habe, worinn des Königs Interesse      
  sowohl als des Landes debattirt wird.      
           
  Iedes Thier hat im denken und schreiben seinen Gang. Der      
  eine geht in Sätzen und Bogen wie eine Heuschrecke; der andere in      
  einer zusammenhängenden Verbindung wie eine Blindschleiche im Fahrgleise,      
  der Sicherheit wegen, die sein Bau nöthig haben soll. der      
  eine gerade, der andere krumm. Nach Hogarts System ist die Schlangenlinie      
  das Element aller malerischen Schönheiten; wie ich es aus der      
  Vignette des Titelblattes gelesen habe.      
           
           
  Der attische Philosoph, Hume, hat den Glauben nöthig, wenn      
  er ein Ey eßen und ein Glas Waßer trinken soll. Er sagt: Moses,      
  das Gesetz der Vernunft, auf das sich der Philosoph beruft, verdammt      
  ihn. Die Vernunft ist euch nicht dazu gegeben, dadurch weise zu      
  werden, sondern eure Thorheit und Unwißenheit zu erkennen; wie das      
  Mosaische Gesetz der Iuden nicht sie gerecht zu machen, sondern ihnen      
  ihre Sünden sündlicher. Wenn er den Glauben zum Eßen und      
  trinken nöthig hat: wozu verleugnet er sein eigen Principium, wenn      
  er über höhere Dinge, als das sinnliche Eßen und trinken urtheilt.      
  Durch die Gewohnheit etwas zu erklären - Die Gewohnheit      
  ist ein zusammengesetzt Ding, das aus Monaden besteht. Die Gewohnheit      
  heist die andere Natur und ist in ihren Phaenomenis eben so räthselhaft      
  als die Natur selbst, die sie nachahmt.      
           
  Wenn Hume nur aufrichtig wäre, sich selbst gleichförmig - Allen      
  seinen Fehler ungeachtet ist er wie Saul unter den Propheten. Ich      
  will ihnen eine Stelle abschreiben, die ihnen beweisen soll, daß man      
  im Schertz und ohn sein Wißen und Willen die Wahrheit predigen      
  kann, wenn man auch der gröste Zweifler wäre und wie die Schlange      
  über das zweifeln wollte, was Gott sagt. Hier ist sie: "Die christl.      
  "Religion ist nicht nur mit Wunderwerken am Anfange begleitet gewesen,      
  "sondern sie kann auch selbst heut zu Tage von keiner vernünftigen      
  "Person ohne ein Wunderwerk geglaubt werden. Die bloße Vernunft      
  ist nicht zureichend uns von der Wahrheit derselben zu überzeugen,      
  und wer immer durch den Glauben bewogen wird derselben      
  "Beyfall zu geben, der ist sich in seiner eigenen Person eines beständig      
  "fortgesetzten ununterbrochnen Wunderwerkes bewust, welche alle      
  "Grundsätze seines Verstandes umkehrt und demselben eine Bestimmung      
  "giebt das zu glauben, was der Gewohnheit und Erfahrung am      
  "meisten zuwieder und entgegen ist.      
           
  Bitten Sie Ihren Freund, daß es sich für Ihn am wenigsten      
  schickt über die Brille meiner ästhetischen Einbildungskraft zu lachen,      
  weil ich mit selbiger die blöden Augen meiner Vernunft wafnen muß.      
           
  Ein zärtlicher Liebhaber läßt sich bey dem Bruche einer Intrigue      
  niemals seine Unkosten gereuen. Wenn also vielleicht nach dem neuen      
  NaturRecht alter Leute die Rede vom Gelde wäre: so sagen Sie ihm,      
  daß ich jetzt nichts habe, und selbst von meines Vaters Gnade leben      
  muß; daß ihm aber alles als eigen gehört, was mir Gott geben will      
           
  - wornach ich aber nicht trachte, weil ich sonst den Seegen des vierten      
  Gebots darüber verlieren könnte. Wenn ich sterben sollte: so will ich ihm      
  obeninn meinen Leichnam vermachen, an dem er sich wie Egyptier      
  pfänden kann, wie in dem angenehmen Happelio Griechenlandes, dem      
  Herodot, geschrieben stehen soll.      
           
  Das leirische der lyrischen Dichtkunst ist das Tireli der Lerche.      
  Wenn ich wie eine Nachtigall schlagen könnte; so muß sie wenigstens      
  an den Vögeln Kunstrichter haben, die immer singen, und mit ihrem      
  unaufhörlichen Fleiß prahlen.      
           
  Sie wißen, HochzuEhrender Herr Magister, daß die Genii Flügel      
  haben und daß das Rauschen derselben dem Klatschen der Menge      
  gleich kommt.      
           
  Wenn sich über Gott mit Anmuth und Stärke spotten läßet; warum      
  soll man mit Götzen nicht sein Kurzweil treiben können. Mutter      
  Lyse singt:      
           
  Die falschen Götzen macht zu spott      
  Ein Philosoph sieht aber auf die Dichter, Liebhaber und Projecktmacher,      
  wie ein Mensch auf einen Affen, mit Lust und Mitleiden.      
           
  Sobald sich die Menschen verstehen einander können Sie arbeiten.      
  Der die Sprachen verwirrte - und die Schemata des Stoltzes aus      
  Liebe und politischen Absichten, zum besten der Bevölkerung, wie ein      
  Menschenfreund strafte - vereinigte sie an dem Tage, da man Menschen      
  mit feurigen Zungen als Köpfe berauscht vom süßen Wein lästerte.      
  Die Wahrheit wollte sich von Straßenräubern nicht zu nahe kommen      
  laßen, sie trug Kleid auf Kleid, daß man zweifelte ihren Leib zu finden.      
  Wie erschracken, da sie ihren Willen hatten und d[as] schreckl[iche]      
  Gespenst, die Wahrheit, vor sich sahen.      
           
  Ich werde diesen Brief ehster Tags in Person abholen kommen.      
           
           
           
     

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