Kant: AA XX, Preisschrift über die ... , Seite 303

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 seyn. — Entweder man schließt aus dem Begriff des allerrealesten      
  02 Wesens auf das Daseyn desselben, oder aus dem nothwendigen Daseyn      
  03 irgend eines Dinges auf einen bestimmten Begriff, den wir uns von ihm      
  04 zu machen haben.      
           
  05 Das erste Argument schließt so: Ein metaphysisch allervollkommenstes      
  06 Wesen muß nothwendig existiren, denn wenn es nicht existirte,      
  07 so würde ihm eine Vollkommenheit, nämlich die Existenz, fehlen.      
           
  08 Das zweyte schließt umgekehrt: Ein Wesen, das als ein nothwendiges      
  09 existirt, muß alle Vollkommenheit haben, denn wenn es nicht alle Vollkommenheit      
  10 (Realität) in sich hätte, so würde es durch seinen Begriff      
  11 nicht als a priori durchgängig bestimmt, mithin nicht als nothwendiges      
  12 Wesen gedacht werden können.      
           
  13 Der Ungrund des ersten Beweises, in welchem das Daseyn als      
  14 eine besondre, über den Begriff eines Dinges zu diesem hinzugesetzte,      
  15 Bestimmung gedacht wird, da es doch bloß die Setzung des Dinges mit      
  16 allen seinen Bestimmungen ist, wodurch dieser Begriff also gar nicht      
  17 erweitert wird, — dieser Ungrund, sage ich, ist so einleuchtend, daß      
  18 man sich bei diesem Beweise, der überdem als unhaltbar von den Metaphysikern      
  19 schon aufgegeben zu seyn scheint, nicht aufhalten darf.      
           
  20 Der Schluß des zweyten ist dadurch scheinbarer, daß er die Erweiterung      
  21 der Erkenntniß nicht durch bloße Begriffe a priori versucht, sondern      
  22 Erfahrung, obzwar nur die Erfahrung überhaupt: es existirt etwas,      
  23 zum Grunde legt, und nun von diesem schließt: weil alle Existenz entweder      
  24 nothwendig, oder zufällig seyn müsse, die letztere aber immer eine Ursache      
  25 voraussetzt, die nur in einem nicht zufälligen, mithin in einem nothwendigen      
  26 Wesen ihren vollständigen Grund haben könne, so existire      
  27 irgend ein Wesen von der letzteren Naturbeschaffenheit.      
           
  28 Da wir nun die Nothwendigkeit der Existenz eines Dinges, wie      
  29 überhaupt jede Nothwendigkeit, nur so fern erkennen können, als dadurch,      
  30 daß wir dessen Daseyn aus Begriffen a priori ableiten, der Begriff aber      
  31 von etwas Existirendem ein Begriff von einem durchgängig bestimmten      
  32 Dinge ist: so wird der Begriff von einem nothwendigen Wesen ein solcher      
  33 seyn, der zugleich die durchgängige Bestimmung dieses Dinges enthält.      
  34 Dergleichen aber haben wir nur einen einzigen, nämlich des allerrealesten      
  35 Wesens. Also ist das nothwendige Wesen ein Wesen, das alle Realit      
  36 enthält, es sey als Grund, oder als Inbegriff.      
           
  37 Dies ist ein Fortschritt der Metaphysik durch die Hinterthüre. Sie      
  38 will a priori beweisen und legt doch ein empirisches Datum zum Grunde,      
  39 welches sie, wie Archimedes seinen festen Punkt außer der Erde (hier      
           
           
           
     

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