Kant: AA XIX, Erläuterungen zu G. Achenwalls Iuris ... , Seite 637

     
           
 

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  01 sind; z. B. wenn man sagt: der Continent ist Insel; er ist aber      
  02 deshalb mit Meer umgeben, damit die Gemeinschaft unter den Menschen      
  03 erleichtert werde, so begeht man gewiß einen Fehler, indem deutliche      
  04 Spuren vorhanden sind, daß die jetzige Beschaffenheit der Erde eine bloße      
  05 Wirkung mechanischer Ursachen ist. --- Wendet man ein, daß, wenn Alles      
  06 blos Mittel zu dem einen großen Zwecke der Gottheit ist, es dadurch      
  07 nothwendig gemacht wird, und also die Zufälligkeit z. B. der Schicksale      
  08 der Menschen aufhört, so muß man bedenken, daß bei Gott der Unterschied      
  09 zwischen möglich, wirklich und nothwendig wegfällt.      
           
   

 

8092.   ψ4. (1788--1790.)   L Bl. Kiesewetter 5.   R.-Sch. XI 1 S. 268--270. Hb. IV 505f. Ki. u. L. S. 200f.
 
     
  12 Vom Gebet.      
           
  13 Dem Gebete andere als natürliche Folgen beizulegen, ist thöricht      
  14 und bedarf keiner ausführlichen Widerlegung; man kann nur fragen: Ist      
  15 nicht das Gebet seiner natürlichen Folgen wegen beizubehalten? Zu diesen      
  16 natürlichen Folgen zählt man, daß durchs Gebet die in des Seele vorhandenen      
  17 dunkeln und verworrenen Vorstellungen deutlicher gemacht, oder      
  18 ihnen ein höherer Grad der Lebhaftigkeit ertheilt werde, daß es den Beweggründen      
  19 zur Tugend dadurch eine größere Wirksamkeit ertheilt u.s.w.      
           
  20 Hierbei ist nun erstlich zu merken, daß das Gebet aus den angeführten      
  21 Gründen doch nur subjectiv zu empfehlen ist; denn Derjenige, welcher die      
  22 vom Gebete gerühmten Wirkungen auf eine andere Weise erreichen kann,      
  23 wird dasselbe nicht nöthig haben. --- Ferner lehrt uns die Psychologie,      
  24 daß sehr oft die Auseinandersetzung eines Gedanken die Wirkung schwächt,      
  25 welche derselbe, da er noch im Ganzen und Großen vorhanden, wenngleich      
  26 dunkel und unentwickelt war, hervorbrachte. Aber endlich ist auch bei dem      
  27 Gebete Heuchelei; denn der Mensch mag nun laut beten, oder seine Ideen      
  28 innerlich in Worte auflösen, so stellt er sich die Gottheit als etwas vor,      
  29 das den Sinnen gegeben werden kann, da sie doch blos ein Princip ist,      
  30 das seine Vernunft ihn anzunehmen zwingt. Das Daseyn der Gottheit      
  31 ist nicht bewiesen, sondern es wird postulirt, und es kann also blos dazu      
  32 dienen, wozu die Vernunft gezwungen war, es zu postuliren. Denkt nun      
  33 der Mensch: Wenn ich zu Gott bete, so kann mir dies auf keinen Fall      
  34 schaden; denn ist er nicht, nun gut, so habe ich des Guten zuviel gethan;      
     

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