Kant: AA XII, Briefwechsel 1796 , Seite 101

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 oder ein Versprechen anzunehmen, dessen Erfüllung der Willkühr des      
  02 Andern überlassen ist. Durch die Annahme des Versprechens kann, wie      
  03 ich glaube, an ein Unrecht etwas angeknüpft werden, da der eine erklärt,      
  04 sich der Sache zu begeben, und der andre durch die Annahme      
  05 des Erklärens deutlich zeigt, daß die Sache sein seyn solle, und er sie an      
  06 sein Urrecht knüpfe. Und sollte wohl endlich der nicht als Mittel gebraucht      
  07 werden, der mein Versprechen annimmt, und ich es ihm dann nicht      
  08 halte? Ihr Ausspruch könnte mich hier ganz allein befriedigen. Ich kenne      
  09 die Größe Ihrer Geschäften und Arbeiten: allein ich glaube nicht zu      
  10 viel zu wagen, wenn ich Sie bitte, in einem Augenblicke Ihrer Muße      
  11 mir Ihre Meinung zu schreiben, oder, daß ich nicht pochend bitte,      
  12 schreiben zu lassen. Es liegt mir Alles daran, mit diesem Satze im      
  13 Reinen zu seyn, da ich sonst in allen Sätzen, die sich auf ihn gründen,      
  14 nicht weiter kommen kann. Es ist mir hier um Wahrheit zu      
  15 thun, und ich glaube nicht bey dem Manne fehl zu bitten, der der      
  16 Welt die Wahrheit gab, und der die Natur des von ihm aufgestellten      
  17 Princips so genau kennen muß.      
           
  18 Bey dem Besuche der Neufranken kam unsre Stadt ziemlich gut      
  19 durch, wiewohl es an starken Requisitionen nicht fehlte, und sie auch      
  20 einmal mit Beschiesen beängstigt wurde. Dagegen haben sie auf dem      
  21 Lande äusserst schlecht gehauset, und dadurch ihren Siegen Gränzen      
  22 gesetzt, da die Bauern allenthalben in Masse aufstunden, eine große      
  23 Menge erschlugen, und unzähliche Beute von ihnen machten Der      
  24 allgemeine Wunsch bey der französischen Armee ist Friede, und der Gemeine      
  25 wie der Offizier wird bey diesem Worte wie elektrisirt. Allein es ist die      
  26 Gewalt, sagen sie alle, die uns forttreibt. Der Geschmack an Tändeleyen,      
  27 den sie so sehr bey ihrer großen Revolution zeigten, hat sich      
  28 größtentheils verlohren. Viele haben mir ihr Mißfallen über solche      
  29 Tändeleyen geaussert, und gestanden, daß in den Händen einer andern      
  30 und solidern Nation alles besser wurde gegangen seyn. - Wenn      
  31 es mich gleich schmerzt, daß unser schönes so reiches Land soviel gelitten      
  32 hat, so beruhige ich mich doch wieder auf der andern Seite,      
  33 wenn ich das Ganze von weltbürgerlichem Gesichtspunkte aus betrachte.      
  34 Es muß zu was gut seyn, und der Gang, den die Natur nimmt,      
  35 führt stätig zu ihrem weisen Zwecke, und wenn itzt tausend unglücklich      
  36 sind, so werden einst Millionen glücklich werden. Am Tage nach      
  37 der Schlacht, die an unsrer Stadt geliefert wurde, gieng ich auf das      
           
     

[ Seite 100 ] [ Seite 102 ] [ Inhaltsverzeichnis ]