Kant: AA XI, Briefwechsel 1794 , Seite 528

     
           
 

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  01 außer dem Zeugniß meiner Zuhörer, worauf ich mich berufe, auch die      
  02 Beschaffenheit derselben als reiner blos philosophischer Unterweisung      
  03 nach A. G. Baumgarten's Handbüchern, in denen der Titel vom      
  04 Christenthum gar nicht vorkommt, noch vorkommen kann, hinreichend      
  05 beweist. Daß ich in der vorliegenden Wissenschaft die Grenzen einer      
  06 philosophischen Religionsuntersuchung überschritten habe, ist ein Vorwurf,      
  07 der mir am wenigsten wird gemacht werden können.      
           
  08 2. Daß ich auch nicht als Schriftsteller z. B. im Buche "Die      
  09 Religion innerhalb der Grenzen u.s.w." gegen die allerhöchsten mir      
  10 bekannten landesväterlichen Absichten mich vergangen habe; denn da      
  11 diese auf die Landesreligion gerichtet sind, so müßte ich in dieser      
  12 meiner Schrift als Volkslehrer haben auftreten wollen, wozu dieses      
  13 Buch, nebst den andern kleinen Abhandlungen gar nicht geeignet ist.      
  14 Sie sind nur als Verhandlungen zwischen Facultätsgelehrten des      
  15 theologischen und philosophischen Fachs geschrieben, um zu bestimmen,      
  16 auf welche Art Religion überhaupt mit aller Lauterkeit und Kraft an      
  17 die Herzen der Menschen zu bringen sey; eine Lehre, wovon das Volk      
  18 keine Notiz nimmt, und welche allererst die Sanction der Regierung      
  19 bedarf, um Schul= und Kirchenlehrer danach zu instruiren, zu welchen      
  20 Vorschlägen aber Gelehrten Freiheit zu erlauben, der Weisheit und      
  21 Autorität der Landesherrschaft um so weniger zuwieder ist, da dieser      
  22 ihr eigener Religionsglaube von ihr nicht ausgedacht ist, sondern sie      
  23 ihn selbst nur auf jenem Wege hat bekommen konnen, und also vielmehr      
  24 die Prüfung und Berichtigung desselben von der Facultät mit      
  25 Recht fordern kann, ohne ihnen einen solchen eben vorzuschreiben.      
           
  26 3. Daß ich in dem genannten Buche mir keine Herabwürdigung      
  27 des Christenthums habe können zu Schulden kommen lassen, weil darin      
  28 gar keine Würdigung irgend einer vorhandenen Offenbarungs=, sondern      
  29 blos der Vernunftreligion beabsichtigt worden, deren Priorität als      
  30 oberste Bedingung aller wahren Religion, ihre Vollständigkeit und      
  31 praktische Absicht (nämlich das, was uns zu thun obliegt), obgleich      
  32 auch ihre Unvollständigkeit in theoretischer Hinsicht (woher das Böse      
  33 entspringe, wie aus diesem der Übergang zum Guten, oder wie die      
  34 Gewißheit, daß wir darin sind, möglich sey u. dgl.), mithin das Bedürfniß      
  35 einer Offenbarungslehre nicht verhehlt wird, und die Vernunftreligion      
  36 auf diese überhaupt, unbestimmt welche es sey (wo das      
  37 Christenthum nur zum Beispiel als bloße Idee einer denkbaren Offenbarung      
           
     

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