Kant: AA XI, Briefwechsel 1793 , Seite 462

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 gelungen ist, ob ich mich gleich vor der Hand bey einer, meine speculative      
  02 Vernunft nicht völlig befriedigenden, Auflösung beruhige.      
           
  03 II. Wie muss der (reine) Begriff von Ursache, inwiefern er auf      
  04 (absolut-) freye Wesen als solche angewendet wird, gedacht werden?      
  05 Oder welches ist das Merckmahl, welches der Begriff von einer freyen      
  06 Ursache mit dem Begriffe von Natur-Ursache gemein hat, und durch      
  07 welches also der Gattungsbegriff, unter welchem jene beide als Arten      
  08 enthalten sind, gedacht werden muss?      
           
  09 Die Haupt=Schwierigkeit, die ich bey dieser Frage finde, und die ich      
  10 durch alle bisher gemachten Versuche n[och] nicht zu lösen wusste, ist diese:      
  11 Ist das Merckmahl der Nothwendigkeit ein wesentliches Merckmahl      
  12 des Gattungsbegriffs von Ursache, und folglich auch in dem Begriff      
  13 von einer freyen Ursache enthalten; so scheint die absolute Freyheit,      
  14 nicht blos etwas unbegreifliches, sondern etwas Widersprechendes zu      
  15 seyn. Schneide ich aber das Merckmahl der Nothwendigkeit von dem      
  16 Gattungsbegriff von Ursache weg, um die Freyheit zu retten; so bleibt      
  17 mir nichts positives dabey zu dencken übrig: Auch weis ich dann jenen      
  18 Begriff nicht mehr von der Form der hypothetischen Urtheile abzuleiten.      
           
  19 III. Wie muss die moralische Besserung, inwiefern sie auf die Freyheit      
  20 bezogen wird, gedacht werden?      
           
  21 Nehme ich eine Veränderung in den Selbstbestimmungen des Subjects      
  22 der absoluten Freyheit an; so muss ich es den Zeitbedingungen      
  23 unterwerffen, und habe also alle Beweise der Critik für die Idealität      
  24 der Zeit gegen mich. Seze ich aber die Nicht-Veränderlichkeit des Subjekts      
  25 der Freyheit voraus; so muss ich 1) Einen unveränderlichen Freyheits-Actus,      
  26 in welchem contradictorisch-entgegengesezte Maximen gegründet      
  27 sind, und 2) einen Prädeterminismus durch Freyheit (der alle      
  28 Besserungsmittel zwecklos zu machen scheint, und insofern practisch      
  29 nachtheilig seyn möchte, ob er gleich mit der Imputation sehr gut bestehen      
  30 kan) annehmen.      
           
  31 IV. Widerspricht der Saz: "Gott kan, seiner moralischen Vollkommenheit      
  32 unbeschadet, den gebesserten Menschen, im Ganzen ihres Daseyns,      
  33 einen höheren Grad von Glückseeligkeit schenken als derjenige ist,      
  34 der (an sich betrachtet) ihrer Würdigkeit entspricht", den Grundsäzen      
  35 der Moraltheologie? Oder kan man nicht mit jenem Satz, die, von      
  36 der practischen Vernunft postulirte, genaue Proportion der Sittlichkeit      
  37 und Glückseeligkeit vereinigen, und diese blos in folgendem Sinn      
           
     

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