Kant: AA XI, Briefwechsel 1790 , Seite 142

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 also die Freiheit hat, allerlei zu urtheilen, worinn es der andere doch      
  02 nicht besser machen kann. - Von da breitet sich nun die Sucht auch      
  03 unter andere im gemeinen Wesen aus.      
           
  04 Wider dieses Uebel sehe ich kein anderes Mittel, als das Vielerleilernen      
  05 in Schulen auf das Gründlichlernen des Wenigren zurückzuführen      
  06 und die Lesebegierde nicht sowohl auszurotten, als vielmehr      
  07 dahin zu richten, daß sie absichtlich werde; damit dem Wohlunterwiesenen,      
  08 nur das Gelesene, welches ihm baaren Gewinn an Einsicht      
  09 verschafft, gefalle, alles übrige aber aneckele. - Ein deutscher Arzt      
  10 (Hr. Grimm) hält sich in seinen Bemerkungen eines Reisenden etc.      
  11 über die französische Allwissenheit, wie er sie nennt, auf; aber      
  12 diese ist lange nicht so geschmacklos, als wenn sie sich bei einem      
  13 Deutschen eräugnet, der gemeiniglich daraus ein schwerfällig System      
  14 macht, von dem er nachher nicht leicht abzubringen ist, indessen da      
  15 eine Mesmeriade in Frankreich einmal eine Modesache ist und bald      
  16 darauf gänzlich verschwindet.      
           
  17 Der gewönliche Kunstgrif, seiner Unwissenheit den Anstrich von      
  18 Wissenschaft zu geben, ist, daß der Schwärmende frägt: Begreift ihr      
  19 die wahre Ursache der magnetischen Kraft, oder kennt ihr die Materie,      
  20 die in den electrischen Erscheinungen so wunderbare Wirkungen ausübt?      
  21 Nun glaubt er mit gutem Grunde von einer Sache, die, seiner      
  22 Meinung nach, der größte Naturforscher ihrer innern Beschaffenheit      
  23 nach eben so wenig kennt, als er, auch in Ansehung der möglichsten      
  24 Wirkungen derselben eben so gut mitreden zu können: Aber der lezte      
  25 läßt nur solche Wirkungen gelten, die er vermittelst des Experiments      
  26 jederzeit unter Augen stellen kann, indem er den Gegenstand gänzlich      
  27 unter seine Gewalt bringt: indessen daß der erstere Wirkungen aufrafft,      
  28 die, so wohl bei der beobachtenden, als der beobachteten Person,      
  29 gänzlich von der Einbildung herrühren können und also sich keinem      
  30 wahren Experimente unterwerfen lassen.      
           
  31 Wider diesen Unfug ist nun nichts weiter zu thun, als den animalischen      
  32 Magnetiseur magnetisiren und desorganisiren zu lassen, so      
  33 lange es ihm und andern Leichtgläubigen gefällt; der Policey aber es      
  34 zu empfehlen, daß der Moralität hiebei nicht zu nahe getreten werde,      
  35 übrigens aber für sich den einzigen Weg der Naturforschung, durch      
  36 Experiment und Beobachtung, die die Eigenschaften des Objects      
  37 äusseren Sinnen kenntlich werden lassen, ferner zu befolgen. Weitläuftige      
           
     

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