Kant: AA XI, Briefwechsel 1789 , Seite 100

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 etwas leichtsinnig erklärte, "daß es bey dem einen Taufschein so      
  02 "wohl, als bey dem andern doch imer glauben würde, worauf es bey      
  03 "dem Taufschein am meisten ankommt, daß Daniel Jenisch, den      
  04 "man zum Prediger ordiniren wollte, geboren wäre.      
           
  05 Das hiesige Ober=Consistorium, deßen einige Mitglieder den Herrn      
  06 de la Veaux selbst kanten, begnügte sich, denselben durch mich erinnern      
  07 zu laßen, daß ein Taufschein ein öffentliches Dokument sey - und      
  08 Prediger Ienisch ward nicht, wie es die Königsberger=sage ausgebreitet      
  09 hat, abgesezt; den Urheber welches Geredes ich, wie Paulus      
  10 den Sünder in der Corinthischen Gemeine, kraft dieses meines noch      
  11 tragenden Prediger=amtes dem Satan übergeben habe.      
           
  12 Das war also die Maus, die aus dem mit Entsezlichkeiten      
  13 schwangern Berge der Königsbergschen Verläumdung hervor sprang,      
  14 und über die ich mit meinen Freunden im Klub nicht selten zu lachen      
  15 Gelegenheit genommen.      
           
  16 Allerdings hatten die Königsberger Wahrscheinlichkeiten für sich!      
  17 Aber, wenn sie auch den sonderbaren Zufall selbst mit seinem Detail      
  18 nicht voraussezzen konten: warum schloßen sie alle, die Weisen und die      
  19 Thoren der großen Stadt, so übereilt, warum muste ich sogleich die      
  20 Fabel der ganzen Stadt werden? Warum dachte man nicht, daß der      
  21 unglükliche Gegenstand dieser Fabel doch niemals sich als einen      
  22 niedrigen oder in wichtigen Sachen leichtsinnigen Menschen zeigte?      
  23 Warum . . .      
           
  24 Doch ich muß aufhören, meinen Unwillen zu äußern. Gewiß,      
  25 mein Gütigster Herr Profeßor, es war eine Zeit, wo ich eben dieser      
  26 Sache wegen, die mir und iedem ehrlichen Mann so empfindlich war,      
  27 Königsberg und Königsberger haßte. Möchten die Weisen der Stadt      
  28 geurtheilt oder auch mich verdammt haben: dafür war Rath: aber      
  29 warum musten eben diese Weisen die Sache dem Pöbel in die Hände      
  30 spielen? Warum muste eine im Senat verhandelte Sache, über die      
  31 doch aus Mangel der Dokumente nichts entscheidendes ausgesprochen      
  32 werden konte, dem Pöbel in die Hände gespielt werden? Ich bitte      
  33 nicht um Verzeihung wegen meiner starken Ausdrükke: denn      
  34 ich schreibe nicht Unbesonnenheiten: ich schreibe mit dem entschloßensten      
  35 Bedacht: das Gefühl eines entehrten Charakters sezt mich über alle      
  36 Verhältniße weg.      
           
  37 Aber in welchen Ton bin ich gefallen? Wie wohl, er war gerecht:      
           
     

[ Seite 099 ] [ Seite 101 ] [ Inhaltsverzeichnis ]