Kant: AA XI, Briefwechsel 1789 , Seite 072

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Seit 8 Iahren, da ich das Schuljoch abwarf, lebe ich noch immer      
  02 als Volckslehrer einer Bauergemeine, auf meinem Altrahdenschen      
  03 Pastorate, und nähre mich, und meine ehrliche Familie frugalement      
  04 und gnügsam von meinem Acker:      
  05 Rusticus abnormis sapiens crassaque Minerva .      
           
  06 Mit meiner guten und würdigen Gattin führe ich eine glückliche liebreiche      
  07 Ehe, und freue mich, daß meine 4: wohlgebildete, gutartige, folgsame      
  08 Kinder, mir die beynahe untrügliche Erwartung gewähren, daß sie      
  09 einst brave, rechtschaffene Menschen seyn werden. Es wird mir nicht sauer,      
  10 bey meinen wirklich schweren Amtsgeschäften, doch ganz allein ihr Lehrer zu      
  11 seyn: und dieses Erziehungsgeschäfte, unsrer lieben Kinder ersetzet mir und      
  12 meiner Gattin hier in der Einsamkeit den Mangel des gesellschaftlichen      
  13 Umganges. Dieses ist nun die Skizze meines immer einförmigen      
  14 Lebens.      
           
  15 Wohlan liebster Bruder! so laconisch als du nur immer wilst      
  16 ( ne in publica Commoda pecces , als Gelehrter und Schriftsteller) la      
  17 es mir doch wissen, wie dein Gesundheitszustand bishero gewesen, wie      
  18 er gegenwärtig ist; was du als Gelehrter, zur Aufklärung der Welt, und      
  19 Nachwelt noch in Petto habest: Und dann! wie es meinen noch lebenden      
  20 lieben Schwestern, und den Ihrigen, wie es dem einzigen Sohne      
  21 meines seel: verehrungswürdigen väterlichen Oncle Richter gehe.      
  22 Gerne bezahle ich Postgeld für deinen Brief, und sollte er auch nur      
  23 eine octav Seite einnehmen. Doch Watson ist in Königsberg der      
  24 dich gewis besucht haben wird; Er wird ohnfehlbar, bald wieder nach      
  25 Curland zurückkommen: Der könte mir ja einen Brief von Dir den      
  26 ich so sehnlich wünsche mitbringen. Unser bisheriger Professor der      
  27 Geschichte Jaeger den du aus einem Briefwechsel, seinen in Königsberg      
  28 studierenden Stiefsohn Pacz betreffend schon kennest, ist gewis schon      
  29 Königsb: passirt er geht ins würtenbergische, sein Vaterland zurück.      
  30 Wenn du ihn persönlich kennen gelernet; so hat er dir ohne Zweifel      
  31 gesaget, daß er mein warmer Freund war. Der junge Mensch der      
  32 dir diesen Brief einhändigt Namens Labowsky: ist der Sohn, eines      
  33 würdigen, rechtschaffenen polnischen reformirten Predigers, des radcziwilschen      
  34 Städtchen Birsen: er geht nach Franckfurt an der Oder, daselbst      
  35 als Stipendiat zu studieren. Ohe! jam satis est ! Gott erhalte      
  36 dich noch lange und gewähre mir bald von deiner Hand die angenehme      
  37 Nachricht daß du gesund und zufrieden lebest. Mit dem redlichsten      
           
     

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