Kant: AA X, Briefwechsel 1785 , Seite 414

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Er für seine eigene Person zieht sich am Ende unter die Kanone des      
  02 Glaubens zurück, u. findet Rettung u. Sicherheit in einer Bastion des      
  03 seligmachenden Lavater's, aus dessen "engelreinem" Munde er am      
  04 Ende seiner Schrift eine trostreiche Stelle anführt, die mir keinen Trost      
  05 geben kann, weil ich sie nicht verstehe. Überhaupt ist diese Schrift des      
  06 Hrn Iacobi ein seltenes Gemisch, eine fast monströse Geburt: der Kopf      
  07 von Göthe, der Leib Spinoza, u. die Füße Lavater.      
           
  08 Mit welchem Rechte aber man sich jetziger Zeit so allgemein erlaubt,      
  09 eine Privat=Correspondenz, ohne Anfrage u. Bewilligung von      
  10 Seiten des Briefschreibenden, öffentlich bekannt zu machen, ist mir      
  11 unbegreiflich. Noch mehr: Lessing soll ihm, Iacobi nämlich, gestanden      
  12 haben, daß er mir, seinem vertrautesten, dreißigjährigen philosophischen      
  13 Freunde, seine wahren philosophischen Grundsätze nie entdeckt habe.      
  14 Ist dieses, wie hat Iacobi sich dann überwinden können, dieses Geheimni      
  15 seines verstorbenen Freundes nicht nur mir, vor dem er es      
  16 geflissentlich verborgen, sondern der ganzen Welt zu verrathen? Seine      
  17 eigene Person bringt er in Sicherheit, u. verläßt seinen Freund nackt      
  18 u. wehrlos auf freiem Felde, daß er ein Raub oder ein Spott der      
  19 Feinde werde. Ich kann mich in dieses Betragen nicht finden, und      
  20 möchte wissen, was rechtschaffene Männer davon denken. Ich fürchte,      
  21 die Philosophie hat ihre Schwärmer, die eben so ungestüm verfolgen      
  22 und fast noch mehr auf das Proselytenmachen gesteuert sind, als die      
  23 Schwärmer der positiven Religion.      
           
  24 Moses Mendelssohn.      
           
           
    249.      
  26 Von von Wernern.      
           
  27 16. Oct. 1785.      
           
  28 Wohlgebohrner Herr      
  29 Insonders HochzuEhrender Herr Professor!      
  30 Die Erleuchtete Einsicht und Kentnis von Sachen die Ewr Wohlgebohren      
  31 so eigen und der Gelehrten Welt so bekandt ist machet mich      
  32 so dreist zu Dero Beurtheilung und Durchsehung zwey meiner Arbeiten      
  33 zu überreichen die ich bey Müßigen Stunden, Kummer und Gram zu      
  34 vetreiben in einem Zustande da ich einem 4Iährigen Festungs Arrest      
  35 unterworffen bin, zusammengetragen und in Beyden den Plan des      
  36 Herrn Magister Jacob Fridrich Klem gefolget auch seine 74 rähtselfragen      
           
     

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