Kant: AA X, Briefwechsel 1784 , Seite 380

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 das hieraus entspringende Gefühl, ist für ihn oft noch bittrer geworden,      
  02 als sein eignes Leiden selbst. Schon von seinem Vater, väterlicher      
  03 Seite, und ältervater, mütterlicher Seite, haben diejenigen, denen er      
  04 sein Daseyn zu danken, die schmerzhaftesten Unfälle erlitten; und die      
  05 Geschichte von der Familie des Ungenannten zeigt, daß bisweilen das      
  06 Unglük eine Familie ganze Geschlechts=Folgen hindurch, gleichsam recht      
  07 übernatürlich verfolge: Die Geschichte des Ungenannten und seiner      
  08 Familie zeigt: daß die Bosheit immer triumphire und die Redlichkeit      
  09 unterliegen müße: diese Warheit ist mit blutigen Zügen in mein Herz      
  10 geäzt. - Doch diese Geschichte gehöret hier nicht her.      
           
  11 Im übrigen, will der Ungenannte die Person, da sie bei Ihrer      
  12 Außage beharret, gar nicht in seinem Herzen verdammen und beschuldigen;      
  13 er gibt die Möglichkeit zu, daß sie die Warheit rede: Nur kann      
  14 er sich sein einmahlige Überzeugung nicht mit Gewalt nehmen; doch      
  15 soll dise Überzeugung, keine Schuld auf die Person häufen, der der      
  16 Ungenannte alles vergiebet, so wie sie ihm mag vergeben, wenn Er      
  17 ihr durch seine innere Uberzeugung, in seinem Herzen Unrecht thun      
  18 sollte.      
           
  19 Die gegenwärtigen schlechten Umstände der Person, können dem      
  20 Ungenannten schlechterdings nicht beigemeßen werden, man würde dadurch      
  21 die größte Grausamkeit gegen ihn begehen: sie hat von      
  22 dem Ungenannten 60 rthl baar erhalten; hat sie diese schon durchgebracht,      
  23 so liegt die Schuld an ihrer schlechten Wirthschaft, nicht aber      
  24 an dem Ungenannten: wenn also die bewußte Person zu einer unsinnigen      
  25 Verzweiflung sollte hingerißen werden, so würde es unmenschlich      
  26 von denen seyn, die die Schuld hieran dem Ungenannten beimeßen      
  27 wollten. - Daß er die Auszahlung des Geldes keinem andern anvertraut,      
  28 ist Ursach, weil er keinen andern als HE Iohn finden konnte,      
  29 der sich damit abgeben wollte; dieser Unterschrieb den Contrakt, sagte      
  30 für die jedesmahlige Zahlung gut: der Ungenannte glaubte nicht, da      
  31 ein Mann von nicht einmahl mittelmäßiger Denkungsart, im Stande      
  32 wäre, auf solche Weise das ihm anvertraute Geld (:vorzüglich unter      
  33 diesen Umständen:) zu veruntreuen: es sezt dies eine so niedrige      
  34 Denkungsart zum voraus, daß man, wenn man nicht sein eignes      
  35 Herz in Verdacht bringen will, sie schwerlich einem Manne wie HE      
  36 I. (:so wenig unbescholten auch sein Charakter dem Ungenannten bekannt      
  37 war:), zutrauen konnte. - Der Ungenannte wird HE Iohn      
           
     

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