Kant: AA X, Briefwechsel 1783 , Seite 331

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Eindruck zu schwächen, den diese Recension bey jedermann      
  02 machen mußte: schickte ich mein Mscrpt, nachdem ich es in einiger Zeit      
  03 von Göttingen wiedererhalten, an Rath Spalding in Berlin. Seitdem      
  04 hat mich Nicolai ersucht, sie in seiner Allgem. D. B. einrücken zu      
  05 lassen. Und ich habe es ihm zugestanden, mit dem Bedinge, wenn      
  06 einer meiner Berlinschen Freunde sie mit der Götting. Rec. vergleichen,      
  07 u. theils die dort beybehaltenen phrases abändern, th. überhaupt erst      
  08 bestimmen wollte, ob es der Rede werth sey. Denn ich bin ganz außer      
  09 Stande, jetzt eine Hand mehr anzulegen. - Nun weiß ich weiter nichts      
  10 davon. - Mit diesem Briefe schreibe ich zugleich an HE. Spalding;      
  11 u. bitte ihn, wofern das Mscpt noch nicht abgedruckt ist, es copiren      
  12 zu lassen, u. es nebst meinem Briefe an Sie zu übersenden. Alsdann      
  13 mögen Sie vergleichen. Sind Sie mit dieser meiner Recension eben      
  14 so unzufrieden, wie mit der Göttingischen: so ist es ein Beweis, da      
  15 ich zu Beurtheilung eines so schweren u. tiefsinnigen Buchs nicht      
  16 penetration genug habe, u. daß es für mich nicht geschrieben ist. Ich      
  17 glaube demohnerachtet, daß Sie, wenn Sie auch damit unzufrieden      
  18 sind, doch glauben werden, mir einige Achtung u. Schonung schuldig      
  19 zu seyn; noch gewisser hoffte ich, daß Sie mein Freund seyn würden,      
  20 wenn wir uns persönlich kennten.      
           
  21 Ich will das nicht ganz von mir ableugnen, was Sie dem      
  22 Göttingischen Recensenten Schuld geben, daß er über den Schwierigkeiten,      
  23 die er zu überwinden gehabt, unwillig geworden sey. Ich gestehe,      
  24 ich bin es zuweilen geworden; weil ich glaubte es müsse möglich      
  25 seyn, Wahrheiten, die wichtige Reformen in der Philosophie hervorbringen      
  26 sollen, denen welche des Nachdenkens nicht ganz ungewohnt      
  27 sind, leichter verständlich zu machen. Ich habe die Größe der Kraft      
  28 bewundert, welche fähig gewesen ist, eine solche lange Reyhe von äußersten      
  29 Abstractionen, ohne ermüdet, ohne unwillig, u. ohne von ihrer Bahn      
  30 abgebracht zu werden, zu durchdenken. Ich habe auch, in sehr vielen      
  31 Theilen Ihres Buchs, Unterricht und Nahrung für meinen Geist gefunden,      
  32 z. E. eben da wo sie zeigen, daß es gewisse widersprechende      
  33 Sätze gebe, die doch gleich gut bewiesen werden können. Aber das ist      
  34 auch jetzt noch meine Meynung, vielleicht eine irrige: daß das Ganze      
  35 Ihres Systems, wenn es wirklich brauchbar werden solle populärer      
  36 ausgedrückt werden müsse, u. wenn es Wahrheit enthält, auch ausgedrückt      
  37 werden könne; und daß die neue Sprache, welche durchaus in      
           
     

[ Seite 330 ] [ Seite 332 ] [ Inhaltsverzeichnis ]