Kant: AA X, Briefwechsel 1782 , Seite 296 |
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| 01 | Begehren die Veranlaßung eine tour nach Litthauen zu machen, | ||||||
| 02 | weil er sich in Curland und in Mietau gar nicht aufhalten wollte. | ||||||
| 03 | Der Graf und die Grafin von Norden appointirten uns nach Mietau, | ||||||
| 04 | wo wir wegen der ungewißen Bestimmung, wann sie daselbst eintreffen | ||||||
| 05 | würden, einen längeren Auffenthalt machen mußten, als wir vermutheten | ||||||
| 06 | und als es uns angenehm war. Ich habe den ersteren, den | ||||||
| 07 | ich nunmehr GroßFürst von Rußland nenne, in seinem Betragen und | ||||||
| 08 | in seiner Representation nicht geändert gefunden, vielmehr scheint seine | ||||||
| 09 | Politesse, Leutseeligkeit und popularité zugenommen zu haben. Die | ||||||
| 10 | GroßFürstin hingegen scheinet die Representation ihrer Aussicht angenommen | ||||||
| 11 | zu haben. Iede Aussicht ist und bleibt aber immer ungewiß, | ||||||
| 12 | so lange bis sie in ihre Erfüllung gegangen ist, und so lange scheinet | ||||||
| 13 | auch eine solche Representation, nicht so angebracht zu seyn, daß sie | ||||||
| 14 | den Beyfall des Publici erwarten kan, wann gleich das Publicum nicht | ||||||
| 15 | so laut schreyet, daß deßen Urtheil zu ihrem Ohre kommt. Doch | ||||||
| 16 | können auch solche große Persohnen entschuldiget werden. Die Großen | ||||||
| 17 | werden meistenstheils durch die Erhebungen ihrer Scheinverdienste von | ||||||
| 18 | denen Schmeichlern in würklichen Uebeln eingeschläffert: Wie viele dergleichen | ||||||
| 19 | mag die Prinzeßin auf allen ihren Reisen nicht angetroffen haben, | ||||||
| 20 | die denen ScheinTugenden einen Anstrich zu geben gewußt haben, | ||||||
| 21 | die ihre Hoheit und ihren Reichtum bewundert haben: Ist es dann | ||||||
| 22 | Wunder, wann die Representation einer GroßFürstin sich in die Representation | ||||||
| 23 | einer regierenden Kayserin verwandelt hat? Ob selbige | ||||||
| 24 | auch in Petersburg beybehalten werden wird? ist eine Frage, die wie | ||||||
| 25 | ich glaube sich selbst beantwortet. Der GroßFürst ist außerordentlich | ||||||
| 26 | poli gegen den Herzog gewesen, dem er die Visite auf dem Schlo | ||||||
| 27 | gemacht und ausdrücklich von ihm begehrte ihn mit der Herzogin bekannt | ||||||
| 28 | zu machen, der er die Visite in ihren Zimmern gab. Er erschien in | ||||||
| 29 | Trauer, weil der Herzog und die Herzogin um die alte Herzogin | ||||||
| 30 | trauern. Doch genug von politicis in dieser Art. Der Todt unsers | ||||||
| 31 | jüngsten GroßSohnes und vornehmlich das Absterben meiner Schwester | ||||||
| 32 | Mannes, des LandMarschalls v. Medem ein Vater Bruder der Herzogin, | ||||||
| 33 | gaben mir traurige aber solche Beschäfftigungen die mit Pflichten verknüpft | ||||||
| 34 | waren. Er war ein Muster rechtschaffener Gesinnungen gegen | ||||||
| 35 | Gott und Menschen. | ||||||
| 36 | Nunmehro kan ich mit ruhiger GemüthsFaßung Dero gütiges | ||||||
| 37 | Schreiben, welches mir viel Freüde machte mit Muße beantworten. | ||||||
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