Kant: AA X, Briefwechsel 1781 , Seite 277

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 betreffen, ein Gnüge zu thun, erfodert nicht allein die schuldige Pflicht      
  02 gegen einen berühmten Mann in seinem litterarischen Geschäfte, sondern      
  03 auch mein eigenes interesse, das mit der Bekanntmachung desselben      
  04 in Verbindung steht. Es ist aber nicht gänzlich in meinem Vermögen      
  05 Ew: Wohlgeb. geneigte Anfragen Dero Erwartung gemäs befriedigend      
  06 zu beantworten. Von dem ersten Briefe kan ich das datum wohl      
  07 genau anzeigen. Er war den 13ten Nov: 1765 datirt. Allein den      
  08 letzten vom Iahr 1770 kan ich, ungeachtet ich gewiß weiß ihn aufbehalten      
  09 zu haben, nach allem Suchen doch nicht auffinden. Da ich      
  10 aber auf einen Brief, den ich zu gleicher Zeit und bey derselben      
  11 Veranlassung (nämlich der Überschickung meiner Inauguraldisputation)      
  12 an den seel: HEn Sulzer geschrieben hatte, die Antwort d. 8 Decembr.      
  13 177O erhielt, so vermuthe ich, daß HEn Lamberts Antwort      
  14 etwa um eben diese Zeit eingetroffen seyn möchte. Der vortrefliche      
  15 Mann hatte mir einen Einwurf wieder meine damals geäußerte      
  16 Begriffe von Raum und Zeit gemacht, den ich in der Critik der      
  17 reinen Vernunft Seite 36-38 beantwortet habe.      
           
  18 Ew: Wohlgeb: erwarten mit völligem Rechte: daß ich auch meine      
  19 Antworten auf die Zuschriften eines so wichtigen Correspondenten      
  20 werde aufbehalten haben; aber sie haben leider niemals etwas der      
  21 Copey würdiges enthalten, eben darum, weil der Antrag mir so      
  22 wichtig war, den mir der unvergleichliche Mann that, mit ihm zur      
  23 reforme der Metaphysik in engere Verbindung zu treten. Damals      
  24 sahe ich wohl: daß es dieser vermeintlichen Wissenschaft an einem      
  25 sicheren Probierstein der Warheit und des Scheins fehle, indem die      
  26 Sätze derselben, welche mit gleichem Rechte auf Überzeugung Anspruch      
  27 machen, sich dennoch in ihren Folgen unvermeidlicher Weise so durchkreutzen,      
  28 daß sie sich einander wechselseitig verdächtig machen müssen.      
  29 Ich hatte damals einige Ideen von einer möglichen Verbesserung      
  30 dieser Wissenschaft, die ich aber allererst zur Reife wolte kommen      
  31 lassen, um sie meinem tiefeinsehenden Freunde zur Beurtheilung und      
  32 weiteren Bearbeitung zu überschreiben. Auf solche Weise wurde das      
  33 verabredete Geschäfte immer aufgeschoben, weil die gesuchte Aufklärung      
  34 beständig nahe zu seyn schien und bey fortgesetzter Nachforschung sich      
  35 dennoch immer noch entfernete. Im Iahre 1770 konnte ich die      
  36 Sinnlichkeit unseres Erkentnisses durch bestimmte Grenzzeichen ganz      
  37 wohl vom Intellectuellen unterscheiden, wovon ich die Hauptzüge      
           
     

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