Kant: AA X, Briefwechsel 1772 , Seite 134

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Gründe gedencken, mithin gar keine Vorstellung von einer Sache,      
  02 oder etwas wirklichem haben, was den Dingen inhaerire und daß er      
  03 daher nichts objectives sey. Der zweyte Misverstand bringt ihn zu      
  04 einem Einwurfe, der mich in einiges Nachdencken gezogen hat, weil      
  05 es scheint, daß er der wesentlichste ist, den man dem Lehrbegriff      
  06 machen kan, der auch iedermann sehr natürlich beyfallen muß, und      
  07 den mir HE. Lambert gemacht hat. Er heißt so: Veränderungen      
  08 sind etwas wirkliches, (laut dem Zeugnis des innern Sinnes) nun      
  09 sind sie nur unter Voraussetzung der Zeit möglich; also ist die Zeit      
  10 etwas wirkliches, was den Bestimmungen der Dinge an sich selbst      
  11 anhängt. Warum (sagte ich zu mir selber) schließt man nicht diesem      
  12 Argumente parallel: Körper sind wirklich, (laut dem Zeugnisse der      
  13 äußeren Sinne) nun sind Körper nur unter der Bedingung des Raumes      
  14 möglich, also ist der Raum etwas objectives und reales was den      
  15 Dingen selber inhaerirt. Die Ursache liegt darinn; weil man wohl      
  16 bemerkt, daß man in Ansehung äußerer Dinge aus der wirklichkeit      
  17 der Vorstellungen auf die der Gegenstände nicht schließen kan, bey      
  18 dem innern Sinne aber ist das Dencken oder das existiren des      
  19 Gedanckens und meiner Selbst einerley. Der Schlüssel zu dieser      
  20 Schwierigkeit liegt hierinn. Es ist kein Zweifel, daß ich nicht meinen      
  21 eignen Zustand unter der Form der Zeit gedenken solte und da      
  22 also die Form der innern Sinnlichkeit mir nicht die Erscheinung von      
  23 Veränderungen gebe. Daß nun Veränderungen etwas wirkliches seyn      
  24 leugne ich eben so wenig, als daß Körper etwas wirkliches sind, ob ich      
  25 gleich darunter nur verstehe, daß etwas wirkliches der Erscheinung      
  26 correspondire. Ich kan nicht einmal sagen: die innere Erscheinung      
  27 verändere sich, denn wodurch wolte ich diese Veränderung beobachten      
  28 wenn sie meinem innern Sinne nicht erschiene. Wolte man sagen      
  29 daß hieraus folge: alles in der Welt sey obiective und an sich selbst      
  30 unveränderlich, so würde ich antworten: sie sind weder veränderlich      
  31 noch unveränderlich, so wie Baumgarten Metaph: § 18 sagt: das      
  32 absolut unmögliche ist weder hypothetisch möglich noch unmöglich, denn      
  33 es kan gar nicht unter irgend einer Bedingung betrachtet werden;      
  34 so auch: die Dinge der Welt sind objectiv oder an sich selbst weder      
  35 in einerley Zustande in verschiedenen Zeiten, noch in verschiedenem      
  36 Zustande denn sie werden in diesem Verstande gar nicht in der Zeit      
  37 vorgestellt. Doch hievon gnug. Es scheint man finde kein Gehör      
           
     

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