Kant: AA X, Briefwechsel 1771 , Seite 126

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 mit im Plane gebracht habe. Sie sind also sehr gütig, wenn Sie an      
  02 den Beyfall den ich zu erwarten habe Antheil nehmen wollen. Ihnen      
  03 gebührt er ganz, u. nichts als der Lob eines fleißigen Zuhörers      
  04 gehört für mich. Aber Schande, ewige Schande für mich allein, wenn      
  05 ich Sie nicht begriffen, wenn ich unächte Waaren den ächten untergeschoben,      
  06 und den verdienten Tadel einer ganzen Welt auf mich      
  07 geladen!      
           
  08 Ich hätte Gelegenheit mich jezo über verschiedene in der Schrift      
  09 enthaltene Materien zu unterhalten, allein ich behalte mir dieses auf      
  10 bis Sie sie gelesen, und mir Ihr Urtheil geschrieben. Bey der      
  11 Entwicklung der Begriffe von Raum u. Zeit habe ich eine Ausschweifung      
  12 zu der Natur der Grundsätze des Schönen gemacht; bey      
  13 der Untersuchung der Verhältniße bin ich auf einen Beweis für das      
  14 Daseyn der Seele geführt worden, der vielleicht Aufmerksamkeit verdient,      
  15 in der zweyten Abtheilung habe ich bloß Ihnen gefolgt, und nur eine      
  16 kleine Bewegung gemacht, den Fuß etwas weiter zu setzen.      
           
  17 Meine Schreibart werden Sie sehr schwerfällig und gezwungen      
  18 finden, es fehlt mir an Rundung an Praecision, u. ich weis nicht ob      
  19 es bloß meinem Unvermögen oder auch zugleich der Beschaffenheit      
  20 der Materie, die Undeutlichkeit an manchen Orten, zuzuschreiben sey.      
  21 Ich erwarte Ihr Urtheil liebster Herr Profeßor so wol [üb]er die einzelnen      
  22 Materien als über die ganze Schrift, und besonders ob mein      
  23 ganzes Unternehmen mit der Herausgabe zu billigen sey oder nicht.      
  24 Uber den Engländer Smith der, wie Herr Friedlander mir sagt,      
  25 Ihr Liebling ist, habe ich verschiedene Remarken zu machen. Auch      
  26 mich hat dieser Mann ungemein belustigt, aber gleichwol setze ich ihn      
  27 dem ersten Theile von Home Kritik bey weiten nach. Herr Mendelsohns      
  28 Rapsodie werden Sie vermuthlich gelesen haben, er hat die neue Ausgabe      
  29 sehr vermehrt, u. eine neue Aussicht in dem Felde der vermischten      
  30 Empfindungen entdecket. Vieles ist mir noch schwierig darin,      
  31 über welchen ich aber mit diesem Manne jezo nicht sprechen kann,      
  32 der schon seit ein ha[l]bes Iahr einen Anfall von Nervenkrankheit      
  33 hat, so daß er nicht das mindeste im Stande ist zu lesen schreiben u.      
  34 über philosophische Materien zu denken. Durch seine strenge Diaet      
  35 aber so wol von seite des Körpers als der Seele hat er sich gottlob!      
  36 schon ziemlich erholt, u. wird künftigen Winter wol wieder arbeiten      
  37 können. Unterdeßen werde ich mich zu meinem theuren Lehrer wenden,      
           
     

[ Seite 125 ] [ Seite 127 ] [ Inhaltsverzeichnis ]