| Kant: AA X, Briefwechsel 1771 , Seite 122 | |||||||
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| 01 | eher als Gleichgültigkeit und Mangel an Achtung wie die Ursache | ||||||
| 02 | davon vermuthen. Ich bitte Sie darum benehmen Sie diesen würdigen | ||||||
| 03 | Männern einen solchen Verdacht oder kommen Sie ihm zuvor; denn | ||||||
| 04 | auch ietzt gilt noch eben die Hindernis die meinen Aufschub so lange | ||||||
| 05 | verursacht hat. Es sind aber der Ursachen, ohne die Unart zu rechnen | ||||||
| 06 | daß der nächste Posttag immer vor beqvemer gerechnet wird als der | ||||||
| 07 | gegenwärtige, eigentlich zwey. Solche Briefe als dieienige sind mit | ||||||
| 08 | denen ich von diesen beyden Gelehrten bin beehret worden flechten | ||||||
| 09 | mich in eine lange Reihe von Untersuchungen ein. Daß vernünftige | ||||||
| 10 | Einwürfe von mir nicht blos von der Seite angesehen werden wie sie | ||||||
| 11 | zu wiederlegen seyn könten sondern daß ich sie iederzeit beym Nachdenken | ||||||
| 12 | unter meine Urtheile webe und ihnen das Recht lasse alle | ||||||
| 13 | vorgefaßte Meinungen die ich sonst beliebt hatte über den Haufen zu | ||||||
| 14 | werfen, das wissen sie. Ich hoffe immer dadurch daß ich meine Urtheile | ||||||
| 15 | aus dem Standpunkte anderer unpartheyisch ansehe etwas drittes | ||||||
| 16 | herauszubekommen was besser ist als mein vorigtes. Uberdem ist sogar | ||||||
| 17 | der bloße Mangel der Überzeugung bey Männern von solcher Einsicht | ||||||
| 18 | mir iederzeit ein Beweis daß es meinen Theorien wenigstens an | ||||||
| 19 | Deutlichkeit evidentz oder gar an etwas wesentlichern fehlen müsse. | ||||||
| 20 | Nun hat mich eine lange Erfahrung davon belehrt daß die | ||||||
| 21 | Einsicht in unsern Vorhabenden Materien gar nicht könne erzwungen | ||||||
| 22 | und durch Anstrengung beschleunigt werden sondern eine ziemlich | ||||||
| 23 | lange Zeit bedürfe da man mit Intervallen einerley Begriff in allerley | ||||||
| 24 | Verhältnissen und in so weitläuftigen Zusammenhange betrachtet als | ||||||
| 25 | möglich ist und vornemlich auch damit zwischen inne der skeptische | ||||||
| 26 | Geist aufwache und versuche ob das ausgedachte gegen die schärfsten | ||||||
| 27 | Zweifel Stich halte. Auf diesen Fuß habe ich die Zeit welche ich | ||||||
| 28 | mir auf Gefahr einen Vorwurf der Unhöflichkeit zu verdienen aber in | ||||||
| 29 | der That aus Achtung vor die Urtheile beyder Gelehrten gegeben habe | ||||||
| 30 | wie ich meyne wohl genutzt. Sie wissen welchen großen Einflus die | ||||||
| 31 | gewisse und deutliche Einsicht in den Unterschied dessen was auf | ||||||
| 32 | subiectivischen principien der menschlichen Seelenkräfte nicht allein der | ||||||
| 33 | Sinnlichkeit sondern auch des Verstandes beruht von dem was gerade | ||||||
| 34 | auf die Gegenstände geht in der gantzen Weltweisheit ja so gar auf | ||||||
| 35 | die wichtigsten Zwecke der Menschen überhaupt habe. Wenn man | ||||||
| 36 | nicht von der Systemensucht hingerissen ist so verificiren sich auch einander | ||||||
| 37 | die Untersuchungen die man über eben dieselbe Grundregel in | ||||||
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