Kant: AA X, Briefwechsel 1770 , Seite 110

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 es künftig thun. Daß wir aber mit solchen Reyhen rechnen, die Summ      
  02 davon angeben können etc. das geschieht vermög der Gesetze der      
  03 Symbolischen Erkenntnis. Wir reichen damit weit über die Grenzen      
  04 unseres wirklichen Denkens hinaus. Das Zeichen √-1 stellt ein      
  05 nicht gedenkbares Unding vor, und doch kann es Lehrsätze zu finden      
  06 sehr gut gebraucht werden. Was man gewöhnlich als Proben des      
  07 reinen Verstandes ansieht, wird meistens nur als Proben der symbolischen      
  08 Erkenntnis anzusehen seyn. Dieses sagte ich § 122. Phaenomenol.      
  09 bey Anlaß der Frage § 119. Und ich habe nichts dawider, daß Euer      
  10 HochEdelgeb. § 10 die Anmerkung ganz allgemein machen.      
           
  11 Iedoch ich werde hier abbrechen, und das Gesagte Euer HochEdelgeb.      
  12 beliebigem Gebrauche überlaßen. Ich bitte indeßen, die in      
  13 diesem Schreiben unterstrichene Sätze genau zu prüfen, und wenn Sie      
  14 dazu Zeit nehmen wollen, ohne auf das Porto zu sehen, mir Dero      
  15 Urtheil zu melden. Bißher habe ich der Zeit und dem Raume noch      
  16 nie alle Realitaet absprechen noch sie zu bloßen Bildern und Schein      
  17 machen können. Ich denke daß jede Veränderungen auch bloßer Schein      
  18 seyn müßten. Dieses wäre einem meiner Hauptgrundsätze (§ 54      
  19 Phaenom.) zuwider. Sind also Veränderungen real, so eigne ich      
  20 auch der Zeit eine Realitaet zu. Veränderungen folgen auf einander,      
  21 fangen an, fahren fort, hören auf etc. lauter von der Zeit hergenommene      
  22 Ausdrücke. Können Euer HochEdelgeb. mich hierinn eines andern      
  23 belehren, so glaube ich nicht viel zu verliehren. Zeit und Raum      
  24 werden reeller Schein seyn, wobey etwas zum Grunde ligt, das sich so      
  25 genau und beständig nach dem Schein richtet, als genau und beständig      
  26 die geometrischen Wahrheiten immer seyn mögen. Die Sprache des      
  27 Scheins wird also eben so genau statt der unbekannten wahren Sprache      
  28 dienen. Ich muß aber doch sagen, daß ein so schlechthin nie triegender      
  29 Schein wohl mehr als nur Schein seyn dürfte.      
           
  30 Ich vermuthe, daß wohl auch Haude und Spenersche Zeitungen      
  31 von hier nach Königsberg kommen werden. Ich werde demnach hier      
  32 nur noch kurz berühren, daß ich in No. 116 vom 27 Sept. a. c. dem      
  33 Publico zu sagen veranlaßt worden bin, wie sich bereits jemand gefunden,      
  34 der die in meinen Zusätzen zu den log. und trigon. Tabellen      
  35 befindliche Tafel der Theiler der Zahlen biß auf 204 000 und allenfalls      
  36 noch weiter ausdehnen wird, und daß ein anderer die log. hyperbol.      
  37 biß auf viele Decimalstellen zu berechnen vorgenommen. Dieses notificirte      
           
     

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