Kant: AA IX, Immanuel Kant über ... , Seite 498

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 fort, weil keine wirkliche Befriedigung statt findet. Lehrer bei erwachsenen      
  02 Jünglingen haben die Frage aufgeworfen: ob es erlaubt sei,      
  03 daß ein Jüngling sich mit dem andern Geschlechte einlasse. Wenn eines von      
  04 beiden gewählt werden muß: so ist dies allerdings besser. Bei jenem      
  05 handelt er wider die Natur, hier aber nicht. Die Natur hat ihn zum      
  06 Manne berufen, sobald er mündig wird, und also auch seine Art fortzupflanzen;      
  07 die Bedürfnisse aber, die der Mensch in einem cultivirten Staate      
  08 nothwendig hat, machen, daß er dann noch nicht immer seine Kinder      
  09 erziehen kann. Er fehlt hier also wider die bürgerliche Ordnung. Am      
  10 besten ist es also, ja, es ist Pflicht, daß der Jüngling warte, bis er im      
  11 Stande ist, sich ordentlich zu verheirathen. Er handelt dann nicht nur      
  12 wie ein guter Mensch, sondern auch wie ein guter Bürger.*)      
           
  13 Der Jüngling lerne frühzeitig, eine anständige Achtung vor dem      
  14 andern Geschlechte hegen, sich dagegen durch lasterfreie Thätigkeit desselben      
  15 Achtung erwerben und so dem hohen Preise einer glücklichen Ehe entgegenstreben.      
           
  17 Ein zweiter Unterschied, den der Jüngling um die Zeit, da er in die      
  18 Gesellschaft eintritt, zu machen anfängt, besteht in der Kenntniß von dem      
  19 Unterschiede der Stände und der Ungleichheit der Menschen. Als Kind      
  20 muß man ihn diese gar nicht merken lassen. Man muß es ihm selbst      
  21 nicht einmal zugeben, dem Gesinde zu befehlen. Sieht es, daß die      
  22 Eltern dem Gesinde befehlen: so kann man ihm allenfalls sagen:      
  23 wir geben ihnen Brod, und dafür gehorchen sie uns, du thust das nicht,      
  24 und also dürfen sie dir auch nicht gehorchen. Kinder wissen davon auch      
  25 nichts, wenn Eltern ihnen nur nicht selbst diesen Wahn beibringen. Dem      
  26 Jünglinge muß man zeigen, daß die Ungleichheit der Menschen eine Einrichtung      
  27 sei, welche entstanden ist, da ein Mensch Vortheile vor dem andern      
  28 zu erhalten gesucht hat. Das Bewußtsein der Gleichheit der Menschen bei      
  29 der bürgerlichen Ungleichheit kann ihm nach und nach beigebracht werden.      
           
  30 Man muß bei dem Jünglinge darauf sehen, daß er sich absolut und      
  31 nicht nach Andern schätze. Die Hochschätzung Anderer in dem, was den      
  32 Werth des Menschen gar nicht ausmacht, ist Eitelkeit. Ferner muß man      
           
    *) Aber auch die vage Befriedigung sinnlicher Neigungen bei dem andern Geschlechte schadet der Gesundheit, erhitzt die Einbildungskraft, stört in einer zweckmäßigen Beschäftigung und untergräbt die Moralität. Reiner Sinn der Liebe in der unentweihten Brust des Jünglings und Mädchens dagegen schützt die Unschuld, erhebt die Seele und ist Anreiz zum Bessern. A. d. H.      
           
     

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