Kant: AA IX, Immanuel Kant über ... , Seite 448

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 1) Die Eltern nämlich sorgen gemeiniglich nur dafür, daß ihre Kinder      
  02 gut in der Welt fortkommen, und 2) die Fürsten betrachten ihre Unterthanen      
  03 nur wie Instrumente zu ihren Absichten.      
           
  04 Eltern sorgen für das Haus, Fürsten für den Staat. Beide haben      
  05 nicht das Weltbeste und die Vollkommenheit, dazu die Menschheit bestimmt      
  06 ist, und wozu sie auch die Anlage hat, zum Endzwecke. Die Anlage zu      
  07 einem Erziehungsplane muß aber kosmopolitisch gemacht werden. Und      
  08 ist dann das Weltbeste eine Idee, die uns in unserm Privatbesten kann      
  09 schädlich sein? Niemals! denn wenn es gleich scheint, daß man bei ihr      
  10 etwas aufopfern müsse: so befördert man doch nichts desto weniger durch      
  11 sie immer auch das Beste seines gegenwärtigen Zustandes. Und dann,      
  12 welche herrliche Folgen begleiten sie! Gute Erziehung gerade ist das,      
  13 woraus alles Gute in der Welt entspringt. Die Keime, die im Menschen      
  14 liegen, müssen nur immer mehr entwickelt werden. Denn die Gründe zum      
  15 Bösen findet man nicht in den Naturanlagen des Menschen. Das nur ist      
  16 die Ursache des Bösen, daß die Natur nicht unter Regeln gebracht wird.      
  17 Im Menschen liegen nur Keime zum Guten.*)      
           
  18 Wo soll der bessere Zustand der Welt nun aber herkommen? Von      
  19 den Fürsten, oder von den Unterthanen? daß diese nämlich sich erst selbst      
  20 bessern und einer guten Regierung auf dem halben Wege entgegen kommen?      
  21 Soll er von den Fürsten begründet werden: so muß erst die Erziehung      
  22 der Prinzen besser werden, die geraume Zeit hindurch noch immer den      
  23 großen Fehler hatte, daß man ihnen in der Jugend nicht widerstand. Ein      
  24 Baum aber, der auf dem Felde allein steht, wächst krumm und breitet      
  25 seine Äste weit aus; ein Baum hingegen, der mitten im Walde steht,      
  26 wächst, weil die Bäume neben ihm ihm widerstehen, gerade auf und sucht      
  27 Luft und Sonne über sich. So ist es auch mit den Fürsten. Doch ist es      
  28 noch immer besser, daß sie von jemand aus der Zahl der Unterthanen      
  29 erzogen werden, als wenn sie von Ihresgleichen erzogen würden: Das      
  30 Gute dürfen wir also von oben her nur in dem Falle erwarten, daß die      
  31 Erziehung dort die vorzüglichere ist! Daher kommt es hier denn hauptsächlich      
  32 auf Privatbemühungen an und nicht sowohl auf das Zuthun der      
  33 Fürsten, wie Basedow und Andere meinten; denn die Erfahrung lehrt es,      
           
    *) S. weiter unten und Kant, Von der Einwohnung des bösen Princips neben dem guten, oder über das radicale Böse in der menschl. Vernunft, in seiner Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, S. 3 u. f. d. H.      
           
     

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