Kant: AA IX, Immanuel Kants physische ... , Seite 211

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 ganz in Ruhe, so kann man, wie schon gesagt, seiner Durchsichtigkeit      
  02 wegen manches unter demselben auf dem Boden entdecken. So bald aber      
  03 die Oberfläche auch nur in etwas in Bewegung gesetzt wird: so ist es auf      
  04 dem Boden trübe und finster, als zögen Wolken vorüber. In einem      
  05 solchen Falle bedienen sich die Taucher mit Vortheil des Öles, das sie zu      
  06 diesem Behufe meistens im Munde mit sich herabnehmen. Lassen sie dasselbe      
  07 nämlich herausfließen, so steigt es in die Höhe, ebnet einen Theil der      
  08 wellenförmig sich bewegenden Oberfläche, und nun entsteht an dieser      
  09 Stelle eine Art von Fenster, durch welches sie Licht auf dem Boden erhalten.      
  10 Was aber unter solchen Umständen und zu einem solchen Zwecke      
  11 thunlich und hinreichend ist, das dürfte es unter anderweitigen Umständen      
  12 wahrscheinlich nicht sein. Schiffe, die mit Öl beladen waren, erlitten      
  13 eine hohle See. Sie wurden an einander zerschmettert, das Öl ergoß sich      
  14 über das Meer, das dennoch nicht ruhig wurde, wie Musschenbroek      
  15 erzählt.      
           
  16 Eine andere Art der Wellenbewegung besteht in den Brandungen.      
  17 Das Wasser mitten in der See hat die Bewegung, welche ein Perpendikel      
  18 hat, das heißt, eine oscillirende Bewegung, da nämlich dasselbe in gleicher      
  19 Zeit steigt und in gleicher Zeit wieder fällt. Gegen das Land aber werden      
  20 die Wellen zurückgeschlagen, wie wenn der Faden des Perpendikels verkürzt      
  21 wird. Wenn demnach eine Welle vom Lande zurückkehrt, so steigt      
  22 die andere in die Höhe, folglich vereinigt sich die zurückkehrende Welle mit      
  23 der aufsteigenden, und so ergießen sich dann beide weiter über das Land.      
           
  24 Die Ursache der Brandungen ist folgende. Die Wellen an den      
  25 Ufern und Küsten können nicht ein gleiches Spiel mit den andern Wellen      
  26 machen, weil sie vom Lande aufgehalten werden. Daher holt die andere      
  27 Welle die erste ein; folglich ist die zweite bereits höher, aber die dritte      
  28 holt wieder diese ein und ist sonach noch höher, und in der Art geht es      
  29 immer fort, bis endlich der Druck der letzten Welle am stärksten ist und sie      
  30 alle zurücktreibt, da das Spiel alsdann wieder aufs Neue seinen Anfang      
  31 nimmt. Dergleichen nun nennen die Schiffer, wie gesagt, Brandungen.      
           
  32 In Guinea ist die größte Welle die siebente oder achte, deren Übergang      
  33 die Schiffer erwarten müssen, wofern sie nicht nebst ihrem Boote      
  34 wollen verschlungen werden. Vielleicht war es diese größte Welle, die die      
  35 Römer fluctum decumanum nannten.      
           
  36 Anmerkung 1. Über die Wellenbewegung des Meeres sind umständlicher      
  37 nachzulesen: Gehler a. ö. a. O. Art: Wellen und Meer. Otto's      
           
     

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