Kant: AA IX, Immanuel Kant's Logik Ein ... , Seite 009

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Wer den himmelweiten Unterschied zwischen der eigentlichen (allgemeinen)      
  02 Logik, als einer bloß formalen Wissenschaft, der Wissenschaft      
  03 des bloßen Denkens als Denkens betrachtet, und der Transscendental      
  04 Philosophie, dieser einigen materialen oder realen reinen Vernunftwissenschaft,      
  05 der Wissenschaft des eigentlichen Wissens, bestimmt ins Auge gefaßt      
  06 hat und nie wieder aus der Acht läßt, wird daher leicht beurtheilen      
  07 können, was von dem neuern Versuche zu halten sei, den Herr Bardili      
  08 neuerdings (in seinem Grundrisse der ersten Logik) unternommen hat, der      
  09 Logik selbst noch ihr Prius auszumachen, in der Erwartung, auf dem Wege      
  10 dieser Untersuchung zu finden: "ein reales Object, entweder durch sie      
  11 (die bloße Logik) gesetzt oder sonst überall keines setzbar; den Schlüssel      
  12 zum Wesen der Natur entweder durch sie gegeben oder sonst überall keine      
  13 Logik und keine Philosophie möglich." Es ist doch in Wahrheit nicht abzusehen,      
  14 auf welche mögliche Art Herr Bardili aus seinem aufgestellten      
  15 Prius der Logik, dem Princip der absoluten Möglichkeit des Denkens,      
  16 nach welchem wir Eines als Eines und Ebendasselbe im Vielen      
  17 (nicht Mannigfaltigen) unendlichemal wiederholen können, ein reales      
  18 Object herausfinden könne. Dieses vermeintlich neu entdeckte Prius der      
  19 Logik ist ja offenbar nichts mehr und nichts weniger als das alte längst      
  20 anerkannte, innerhalb des Gebiets der Logik gelegene und an die Spitze      
  21 dieser Wissenschaft gestellte Princip der Identität: Was ich denke, denke      
  22 ich, und eben dieses und nichts anders kann ich nun eben ins Unendliche      
  23 wiederholt denken. - Wer wird denn auch bei dem wohl verstandenen      
  24 logischen Satze der Identität an ein Mannigfaltiges und nicht an      
  25 ein bloßes Vieles denken, das allerdings durch nichts anders entsteht      
  26 noch entstehen kann, als durch bloße Wiederholung Eines und Ebendesselben      
  27 Denkens, das bloße wiederholte Setzen eines A=A=A      
  28 und so weiter ins Unendliche fort. Schwerlich dürfte sich daher wohl auf      
  29 dem Wege, den Herr Bardili dazu eingeschlagen und nach derjenigen      
  30 heuristischen Methode, deren er sich hierzu bedient hat, dasjenige finden      
  31 lassen, woran der philosophirenden Vernunft gelegen ist, der Anfangs      
  32 und Endpunkt, wovon sie bei ihren Untersuchungen ausgehen und      
  33 wohin sie wiederum zurückkehren könne. Die hauptsächlichsten und bedeutendsten      
  34 Einwürfe, die Herr Bardili Kanten und seiner Methode      
  35 des Philosophirens entgegensetzt, könnten also auch nicht so wohl      
  36 Kanten den Logiker, als vielmehr Kanten den Transscendental      
  37 Philosophen und Metaphysiker treffen. Wir können sie daher      
           
     

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