Kant: AA IX, Immanuel Kant's Logik Ein ... , Seite 007

     
           
 

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  01 anerkannt und behandelt, der seine Evidenz in sich selber habe und keiner      
  02 Ableitung aus einem höhern Grundsatze bedürfe. Nur den Gebrauch,      
  03 die Gültigkeit dieses Princips hat er eingeschränkt, indem er es aus dem      
  04 Gebiete der Metaphysik, worin es der Dogmatismus geltend zu machen      
  05 suchte, verwies und auf den bloß logischen Vernunftgebrauch, als allein      
  06 gültig nur für diesen Gebrauch beschränkte.      
           
  07 Ob nun aber wirklich der logische Satz der Identität und des Widerspruchs      
  08 an sich und schlechthin keiner weitern Deduction fähig und bedürftig      
  09 sei, das ist freilich eine andre Frage, die auf die vielbedeutende      
  10 Frage führt: ob es überhaupt ein absolut erstes Princip aller Erkenntnis      
  11 und Wissenschaft gebe, ob ein solches möglich sei und gefunden      
  12 werden könne?      
           
  13 Die Wissenschaftslehre glaubt, ein solches Princip in dem reinen,      
  14 absoluten Ich entdeckt und damit das gesammte philosophische      
  15 Wissen nicht der bloßen Form, sondern auch dem Gehalte nach vollkommen      
  16 begründet zu haben. Und unter Voraussetzung der Möglichkeit und apodiktischen      
  17 Gültigkeit dieses absolut einigen und unbedingten Princips handelt      
  18 sie daher auch vollkommen consequent, wenn sie die logischen Grundsätze      
  19 der Identität und des Widerspruches, die Sätze: A=A und -A=-A      
  20 nicht als unbedingt gelten läßt, sondern nur für subalterne      
  21 Sätze erklärt, die durch sie und ihren obersten Satz: Ich bin, erst erwiesen      
  22 und bestimmt werden können und müssen. (Siehe Grundl. d. W. L.      
  23 S. 13 etc.) Auf eine gleich consequente Art erklärt sich auch Schelling in      
  24 seinem System des transscendentalen Idealismus gegen die Voraussetzung      
  25 der logischen Grundsätze als unbedingter, d. h. von keinen      
  26 höhern abzuleitender, indem die Logik überhaupt nur durch Abstraction      
  27 von bestimmten Sätzen und, sofern sie auf wissenschaftliche Art entsteht,      
  28 nur durch Abstraction von den obersten Grundsätzen des Wissens entstehen      
  29 könne, und folglich diese höchsten Grundsätze des Wissens und      
  30 mit ihnen die Wissenschaftslehre selbst schon voraussetze. Da aber von der      
  31 andern Seite diese höchsten Grundsätze des Wissens, als Grundsätze betrachtet,      
  32 eben so nothwendig die logische Form schon voraussetzen: so entsteht      
  33 eben hieraus jener Zirkel, der sich zwar für die Wissenschaft nicht      
  34 auflösen, aber doch erklären läßt, erklären durch Anerkennung eines zugleich      
  35 der Form und dem Gehalte nach (formellen und materiellen) ersten      
  36 Princips der Philosophie, in welchem beides, Form und Gehalt, sich      
  37 wechselseitig bedingt und begründet. In diesem Princip läge sodann der      
           
     

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