Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 316

   
         
 

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  01 3. Der aus der Mischung des europäischen mit arabischem (mohrischem)    
  02 Blut entsprungene Spanier zeigt in seinem öffentlichen und Privatbetragen    
  03 eine gewisse Feierlichkeit und selbst der Bauer gegen Obere,    
  04 denen er auch auf gesetzliche Art gehorsam ist, ein Bewußtsein seiner    
  05 Würde. - Die spanische Grandezza und die selbst in ihrer Conversationssprache    
  06 befindliche Grandiloquenz zeigen auf einen edlen Nationalstolz.    
  07 Daher ist ihm der französische vertrauliche Muthwille ganz zuwider. Er    
  08 ist mäßig, den Gesetzen, vornehmlich denen seiner alten Religion herzlich    
  09 ergeben. - Diese Gravität hindert ihn auch nicht, an Tagen der Ergötzlichkeit    
  10 (z. B. bei Einführung seiner Ernte durch Gesang und Tanz) sich    
  11 zu Vergnügen, und wenn an einem Sommerabend der Fandango gefidelt    
  12 wird, fehlt es nicht an jetzt müßigen Arbeitsleuten, die zu dieser Musik    
  13 auf den Straßen tanzen. - - Das ist seine gute Seite.    
         
  14 Die schlechtere ist: er lernt nicht von Fremden, reiset nicht, um andere    
  15 Völker kennen zu lernen;*) bleibt in Wissenschaften wohl Jahrhunderte    
  16 zurück; schwierig gegen alle Reform, ist er stolz darauf, nicht arbeiten zu    
  17 dürfen, von romantischer Stimmung des Geistes, wie das Stiergefecht,    
  18 grausam, wie das ehemalige Auto da Fe beweiset, und zeigt in seinem    
  19 Geschmack zum Theil außer=europäische Abstammung.    
         
  20 4. Der Italiäner vereinigt die französische Lebhaftigkeit (Frohsinn)    
  21 mit spanischem Ernst (Festigkeit), und sein ästhetischer Charakter ist ein    
  22 mit Affect verbundener Geschmack, so wie die Aussicht von seinen Alpen    
  23 in die reizenden Thäler einerseits Stoff zum Muth, anderseits zum ruhigen    
  24 Genuß darbietet. Das Temperament ist hierin nicht gemischt, noch    
  25 desultorisch (denn so gäbe es keinen Charakter ab), sondern eine Stimmung    
  26 der Sinnlichkeit zum Gefühl des Erhabenen, so fern es zugleich mit    
  27 dem des Schönen vereinbar ist. - In seinen Mienen äußert sich ein    
  28 starkes Spiel seiner Empfindungen, und sein Gesicht ist ausdrucksvoll.    
  29 Das Plaidiren ihrer Advocaten vor den Schranken ist so affectvoll, daß es    
  30 einer Declamation auf der Schaubühne ähnlich sieht.    
         
  31 So wie der Franzose im Conversationsgeschmack vorzüglich ist, so ist    
  32 es der Italiäner im Kunstgeschmack. Der erstere liebt mehr die Privatbelustigungen,    
         
    *) Die Eingeschränktheit des Geistes aller Völker, welche die uninteressirte Neubegierde nicht anwandelt, die Außenwelt mit eigenen Augen kennen zu lernen, noch weniger sich dahin (als Weltbürger) zu verpflanzen, ist etwas Charakteristisches an denselben, wodurch sich Franzosen, Engländer und Deutsche vor anderen vortheilhaft unterscheiden.    
         
     

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