Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 250

   
         
 

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  01 auf die Wohlfahrt in Betrachtung zieht, so ist Üppigkeit ein entbehrlicher    
  02 Aufwand, der arm macht, Schwelgerei aber ein solcher, der    
  03 krank macht. Die erste ist doch noch mit der fortschreitenden Cultur des    
  04 Volks (in Kunst und Wissenschaft) vereinbar; die zweite aber überfüllt mit    
  05 Genuß und bewirkt endlich Ekel. Beide sind mehr prahlerisch (von außen    
  06 zu glänzen), als selbstgenießend; die erstere durch Eleganz (wie auf Bällen    
  07 und in Schauspielen) für den idealen Geschmack, die zweite durch Überflu    
  08 und Mannigfaltigkeit für den Sinn des Schmeckens (den physischen,    
  09 wie z. B. ein Lordmaireschmaus). - Ob die Regierung befugt sei,    
  10 beide durch Aufwandsgesetze einzuschränken, ist eine Frage, deren Beantwortung    
  11 hieher nicht gehört. Die schönen aber sowohl, als die angenehmen    
  12 Künste, welche das Volk zum Theil schwächen, um es besser regieren    
  13 zu können, würden mit Eintretung eines rauhen Lakonicisms der Absicht    
  14 der Regierung gerade zuwider wirken.    
         
  15 Gute Lebensart ist die Angemessenheit des Wohllebens zur Geselligkeit    
  16 (also mit Geschmack). Man sieht hieraus, daß der Luxus der guten    
  17 Lebensart Abbruch thut, und der Ausdruck "er weiß zu leben", der von    
  18 einem begüterten oder vornehmen Mann gebraucht wird, bedeutet die Geschicklichkeit    
  19 seiner Wahl im geselligen Genuß, der Nüchternheit (Sobrietät)    
  20 enthält, beiderseitig den Genuß gedeihlich macht und für die Dauer    
  21 berechnet ist.    
         
  22 Man sieht hieraus, daß, da Üppigkeit eigentlich nicht dem häuslichen,    
  23 sondern nur dem öffentlichen Leben vorgerückt werden kann, das Verhältniß    
  24 des Staatsbürgers zum gemeinen Wesen, was die Freiheit im Wetteifer    
  25 betrifft, um in Verschönerung seiner Person oder Sachen (in Festen,    
  26 Hochzeiten und Leichenbegängnissen und so herab bis zu dem guten Ton    
  27 des gemeinen Umgangs) dem Nutzen allenfalls vorzugreifen, schwerlich    
  28 mit Aufwandsverboten belästigt werden dürfe: weil sie doch den Vortheil    
  29 schafft, die Künste zu beleben, und so dem gemeinen Wesen die Kosten    
  30 wieder erstattet, welche ihm ein solcher Aufwand verursacht haben möchte.    
         
         
     

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