Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 134

   
         
 

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  01 das Spiel der unabsichtlich dichtenden Einbildungskraft) ist, weil alsdann    
  02 die Principien des Denkens nicht (wie sie sollen) vorangehen, sondern hintennach    
  03 folgen, eine Verkehrung der natürlichen Ordnung im Erkenntnißvermögen    
  04 und ist entweder schon eine Krankheit des Gemüths (Grillenfängerei)    
  05 oder führt zu derselben und zum Irrhause. Wer von inneren    
  06 Erfahrungen (von der Gnade, von Anfechtungen) viel zu erzählen weiß,    
  07 mag bei seiner Entdeckungsreise zur Erforschung seiner selbst immer nur    
  08 in Anticyra vorher anlanden. Denn es ist mit jenen inneren Erfahrungen    
  09 nicht so bewandt, wie mit den äußeren Gegenständen im Raum,    
  10 worin die Gegenstände nebeneinander und als bleibend festgehalten erscheinen.    
  11 Der innere Sinn sieht die Verhältnisse seiner Bestimmungen nur    
  12 in der Zeit, mithin im Fließen, wo keine Dauerhaftigkeit der Betrachtung,    
  13 die doch zur Erfahrung nothwendig ist, statt findet.*)    
         
         
    *) Wenn wir uns die innere Handlung (Spontaneität), wodurch ein Begriff (ein Gedanke) möglich wird, die Reflexion, die Empfänglichkeit (Receptivität), wodurch eine Wahrnehmung ( perceptio ), d.i. empirische Anschauung, möglich wird, die Apprehension, beide Acte aber mit Bewußtsein vorstellen, so kann das Bewußtsein seiner selbst ( apperceptio ) in das der Reflexion und das der Apprehension eingetheilt werden. Das erstere ist ein Bewußtsein des Verstandes, das zweite der innere Sinn; jenes die reine, dieses die empirische Apperception, da dann jene fälschlich der innere Sinn genannt wird. - In der Psychologie erforschen wir uns selbst nach unseren Vorstellungen des inneren Sinnes; in der Logik aber nach dem, was das intellectuelle Bewußtsein an die Hand giebt. - Hier scheint uns nun das Ich doppelt zu sein (welches widersprechend wäre): 1) das Ich als Subject des Denkens (in der Logik), welches die reine Apperception bedeutet (das blos reflectirende Ich), und von welchem gar nichts weiter zu sagen, sondern das eine ganz einfache Vorstellung ist; 2)das Ich als das Object der Wahrnehmung, mithin des inneren Sinnes, was eine Mannigfaltigkeit von Bestimmungen enthält, die eine innere Erfahrung möglich machen. Die Frage, ob bei den verschiedenen inneren Veränderungen des Gemüths (seines Gedächtnisses oder der von ihm angenommenen Grundsätze) der Mensch, wenn er sich dieser Veränderung bewußt ist, noch sagen könne, er sei ebenderselbe (der Seele nach), ist eine ungereimte Frage; denn er kann sich dieser Veränderungen nur dadurch bewußt sein, daß er sich in den verschiedenen Zuständen als ein und dasselbe Subject vorstellt, und das ich des Menschen ist zwar der Form (der Vorstellungsart) nach, aber nicht der Materie (dem Inhalte) nach zwiefach.    
         
     

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