Kant: AA VII, Der Streit der ... , Seite 115

   
         
 

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  01 Theil der Einwohner der Stadt blind ist, dieses Übel aus ähnlicher Ursache    
  02 auch bei uns einreiße, vielmehr die Buchdrucker desfalls unter Polizeigesetze    
  03 gebracht werden. - Die jetzige Mode will es dagegen anders;    
  04 nämlich:    
         
  05 1) Nicht mit schwarzer, sondern grauer Tinte (weil es sanfter und    
  06 lieblicher auf schönem weißen Papier absteche) zu drucken.    
         
  07 2) Mit Didotschen Lettern von schmalen Füßen, nicht mit Breitkopfschen,    
  08 die ihrem Namen Buchstaben (gleichsam bücherner Stäbe zum    
  09 Feststehen) besser entsprechen würden.    
         
  10 3) Mit lateinischer (wohl gar Cursiv=)Schrift ein Werk deutschen    
  11 Inhalts, von welcher Breitkopf mit Grunde sagte: daß niemand das Lesen    
  12 derselben für seine Augen so lange aushalte, als mit der deutschen.    
         
  13 4) Mit so kleiner Schrift als nur möglich, damit für die unten etwa    
  14 beizufügende Noten noch kleinere (dem Auge noch knapper angemessene)    
  15 leserlich bleibe.    
         
  16 Diesem Unwesen zu steuren, schlage ich vor: den Druck der Berliner    
  17 Monatsschrift (nach Text und Noten) zum Muster zu nehmen; denn man    
  18 mag, welches Stück man will, in die Hand nehmen, so wird man die durch    
  19 obige Leserei angegriffene Augen durch Ansicht des letzteren merklich gestärkt    
  20 fühlen.*)    
         
         
    *) Unter den krankhaften Zufällen der Augen (nicht eigentlichen Augenkrankheiten) habe ich die Erfahrung von einem, der mir zuerst in meinen Vierzigerjahren einmal, späterhin mit Zwischenräumen von einigen Jahren dann und wann, jetzt aber in einem Jahre etlichemal begegnet ist, gemacht; wo das Phänomen darin besteht: daß auf dem Blatt, welches ich lese, auf einmal alle Buchstaben verwirrt und durch eine gewisse über dasselbe verbreitete Helligkeit vermischt und ganz unleserlich werden: ein Zustand, der nicht über 6 Minuten dauert, der einem Prediger, welcher seine Predigt vom Blatte zu lesen gewohnt ist, sehr gefährlich sein dürfte, von mir aber in meinem Auditorium der Logik oder Metaphysik, wo nach gehöriger Vorbereitung im freien Vortrage (aus dem Kopfe) geredet werden kann, nichts als die Besorgniß entsprang, es möchte dieser Zufall der Vorbote vom Erblinden sein; worüber ich gleichwohl jetzt beruhigt bin: da ich bei diesem jetzt öfter als sonst sich ereignenden Zufalle an meinem einen gesunden Auge (denn das linke hat das sehen seit etwa 5 Jahren verloren) nicht den mindesten Abgang an Klarheit verspüre. - Zufälligerweise kam ich darauf, wenn sich jenes Phänomen ereignete, meine Augen zu schließen, ja um noch besser das äußere Licht abzuhalten, meine Hand darüber zu legen, und dann sah ich eine hellweiße, wie mit Phosphor im Finstern auf einem Blatt verzeichnete Figur, ähnlich der, wie das letzte Viertel im Kalender vorgestellt wird, doch mit einem auf der convexen Seite ausgezackten [Seitenumbruch] Rande, welche allmählich an Helligkeit verlor und in obbenannter Zeit verschwand. - Ich möchte wohl wissen: ob diese Beobachtung auch von Andern gemacht, und wie diese Erscheinung, die wohl eigentlich nicht in den Augen - als bei deren Bewegung dies Bild nicht zugleich mit bewegt, sondern immer an derselben Stelle gesehen wird -, sondern im Sensorium commune ihren Sitz haben dürfte, zu erklären sei. Zugleich ist es seltsam, daß man ein Auge (innerhalb einer Zeit, die ich etwa auf 3 Jahre schätze) einbüßen kann, ohne es zu vermissen. I. Kant.    
         
     

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