Kant: AA VII, Der Streit der ... , Seite 053

   
         
 

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  01 wahre Religionsgesinnung verdrängenden alten Cultus abwerfen. Da sie    
  02 nun so lange das Kleid ohne Mann (Kirche ohne Religion) gehabt    
  03 haben, gleichwohl aber der Mann ohne Kleid (Religion ohne Kirche)    
  04 auch nicht gut verwahrt ist, sie also gewisse Förmlichkeiten einer Kirche,    
  05 die dem Endzweck in ihrer jetzigen Lage am angemessensten wäre, bedürfen:    
  06 so kann man den Gedanken eines sehr guten Kopfs dieser Nation, Bendavid's,    
  07 die Religion Jesu (vermuthlich mit ihrem Vehikel, dem Evangelium)    
  08 öffentlich anzunehmen, nicht allein für sehr glücklich, sondern    
  09 auch für den einzigen Vorschlag halten, dessen Ausführung dieses Volk    
  10 auch ohne sich mit andern in Glaubenssachen zu vermischen, bald als ein    
  11 gelehrtes, wohlgesittetes und aller Rechte des bürgerlichen Zustandes    
  12 fähiges Volk, dessen Glaube auch von der Regierung sanctionirt werden    
  13 könnte, bemerklich machen würde; wobei freilich ihr die Schriftauslegung    
  14 (der Thora und des Evangeliums) frei gelassen werden müßte, um die    
  15 Art, wie Jesus als Jude zu Juden, von der Art, wie er als moralischer    
  16 Lehrer zu Menschen überhaupt redete, zu unterscheiden. -Die Euthanasie    
  17 des Judenthums ist die reine moralische Religion mit Verlassung aller    
  18 alten Satzungslehren, deren einige doch im Christenthum (als messianischen    
  19 Glauben) noch zurück behalten bleiben müssen: welcher Sectenunterschied    
  20 endlich doch auch verschwinden muß und so das, was man als den    
  21 Beschluß des großen Drama des Religionswechsels auf Erden nennt, (die    
  22 Wiederbringung aller Dinge) wenigstens im Geiste herbeiführt, da nur    
  23 ein Hirt und eine Heerde Statt findet.    
         
  24 Wenn aber gefragt wird: nicht blos was Christenthum sei, sondern    
  25 wie es der Lehrer desselben anzufangen habe, damit ein solches in den    
  26 Herzen der Menschen wirklich angetroffen werde (welches mit der Aufgabe    
  27 einerlei ist: was ist zu thun, damit der Religionsglaube zugleich bessere    
  28 Menschen mache?), so ist der Zweck zwar einerlei und kann keinen Sectenunterschied    
  29 veranlassen, aber die Wahl des Mittels zu demselben kann    
  30 diesen doch herbei führen, weil zu einer und derselben Wirkung sich mehr    
  31 wie eine Ursache denken läßt und sofern also Verschiedenheit und Streit    
  32 der Meinungen, ob das eine oder das andere demselben angemessen und    
  33 göttlich sei, mithin eine Trennung in Principien bewirken kann, die selbst    
         
     

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