Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 449 |
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| 01 | bloße Schuldigkeit oder geringen Liebesdienst vorstellt, die Demüthigung | ||||||
| 02 | zu ersparen und ihm seine Achtung für sich selbst zu erhalten. | ||||||
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| 04 | Wenn von Pflichtgesetzen (nicht von Naturgesetzen) die Rede ist und | ||||||
| 05 | zwar im äußeren Verhältniß der Menschen gegen einander, so betrachten | ||||||
| 06 | wir uns in einer moralischen (intelligibelen) Welt, in welcher nach der | ||||||
| 07 | Analogie mit der physischen die Verbindung vernünftiger Wesen (auf | ||||||
| 08 | Erden) durch Anziehung und Abstoßung bewirkt wird. Vermöge des | ||||||
| 09 | Princips der Wechselliebe sind sie angewiesen sich einander beständig | ||||||
| 10 | zu nähern, durch das der Achtung, die sie einander schuldig sind, sich | ||||||
| 11 | im Abstande von einander zu erhalten; und sollte eine dieser großen | ||||||
| 12 | sittlichen Kräfte sinken, "so würde dann das nichts (der Immoralität) | ||||||
| 13 | mit aufgesperrtem Schlund der (moralischen) Wesen ganzes Reich wie | ||||||
| 14 | einen Tropfen Wasser trinken" (wenn ich mich hier der Worte Hallers, | ||||||
| 15 | nur in einer anderen Beziehung, bedienen darf). | ||||||
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| 17 | Die Liebe wird aber hier nicht als Gefühl (ästhetisch), d. i. als Lust | ||||||
| 18 | an der Vollkommenheit anderer Menschen, nicht als Liebe des Wohlgefallens, | ||||||
| 19 | verstanden (denn Gefühle zu haben, dazu kann es keine Verpflichtung | ||||||
| 20 | durch Andere geben), sondern muß als Maxime des Wohlwollens | ||||||
| 21 | (als praktisch) gedacht werden, welche das Wohlthun zur | ||||||
| 22 | Folge hat. | ||||||
| 23 | Eben dasselbe muß von der gegen Andere zu beweisenden Achtung | ||||||
| 24 | gesagt werden: daß nämlich nicht blos das Gefühl aus der Vergleichung | ||||||
| 25 | unseres eigenen Werths mit dem des Anderen (dergleichen ein Kind | ||||||
| 26 | gegen seine Ältern, ein Schüler gegen seinen Lehrer, ein Niedriger überhaupt | ||||||
| 27 | gegen seinen Oberen aus bloßer Gewohnheit fühlt), sondern nur | ||||||
| 28 | eine Maxime der Einschränkung unserer Selbstschätzung durch die Würde | ||||||
| 29 | der Menschheit in eines anderen Person, mithin die Achtung im praktischen | ||||||
| 30 | Sinne ( observantia aliis praestanda ) verstanden wird. | ||||||
| 31 | Auch wird die Pflicht der freien Achtung gegen Andere, weil sie | ||||||
| 32 | eigentlich nur negativ ist (sich nicht über Andere zu erheben) und so der | ||||||
| 33 | Rechtspflicht, niemanden das Seine zu schmälern, analog, obgleich als | ||||||
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