Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 300 |
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Text (Kant):
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| 01 | ( pactum incertum ) ist, das Urtheil darüber, d. i. die Entscheidung, | ||||||
| 02 | wen das Unglück treffen müsse, nicht aus den Bedingungen des Vertrages | ||||||
| 03 | an sich selbst, sondern wie sie allein vor einem Gerichtshofe, der | ||||||
| 04 | immer nur auf das Gewisse in jenem sieht (welches hier der Besitz der | ||||||
| 05 | Sache als Eigenthum ist), entschieden werden kann, so wird das Urtheil | ||||||
| 06 | im Naturzustande, d. i. nach der Sache innerer Beschaffenheit, so lauten: | ||||||
| 07 | der Schade aus der Verunglückung einer geliehenen Sache fällt auf | ||||||
| 08 | den Beliehenen ( casum sentit commodatarius ); dagegen im bürgerlichen, | ||||||
| 09 | also vor einem Gerichtshofe, wird die Sentenz so ausfallen: der | ||||||
| 10 | Schade fällt auf den Anleiher ( casum sentit dominus ), und zwar aus | ||||||
| 11 | dem Grunde verschieden von dem Ausspruche der bloßen gesunden Vernunft, | ||||||
| 12 | weil ein öffentlicher Richter sich nicht auf Präsumtionen von dem, | ||||||
| 13 | was der eine oder andere Theil gedacht haben mag, einlassen kann, sondern | ||||||
| 14 | der, welcher sich nicht die Freiheit von allem Schaden an der geliehenen | ||||||
| 15 | Sache durch einen besonderen angehängten Vertrag ausbedungen | ||||||
| 16 | hat, diesen selbst tragen muß. - Also ist der Unterschied zwischen dem | ||||||
| 17 | Urtheile, wie es ein Gericht fällen müßte, und dem, was die Privatvernunft | ||||||
| 18 | eines jeden für sich zu fällen berechtigt ist, ein durchaus nicht zu übersehender | ||||||
| 19 | Punkt in Berichtigung der Rechtsurtheile. | ||||||
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| 24 | Daß eine fortdauernde Sache, die mein ist, mein bleibe, ob ich gleich | ||||||
| 25 | nicht in der fortdauernden Inhabung derselben bin, und von selbst ohne | ||||||
| 26 | einen rechtlichen Act ( derelictionis vel alienationis ) mein zu sein nicht | ||||||
| 27 | aufhöre, und daß mir ein Recht in dieser Sache ( ius reale ), mithin gegen | ||||||
| 28 | jeden Inhaber, nicht bloß gegen eine bestimmte Person ( ius personale ) | ||||||
| 29 | zusteht, ist aus dem obigen klar. Ob aber dieses Recht auch von jedem | ||||||
| 30 | Anderen als ein für sich fortdauerndes Eigenthum müsse angesehen werden, | ||||||
| 31 | wenn ich demselben nur nicht entsagt habe, und die Sache in dem | ||||||
| 32 | Besitz eines Anderen ist, das ist nun die Frage. | ||||||
| 33 | Ist die Sache mir abhanden gekommen ( res amissa ) und so von | ||||||
| 34 | einem Anderen auf ehrliche Art ( bona fide ), als ein vermeinter Fund, | ||||||
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