Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 297 |
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| 01 | wird, so wird nicht bloß die zwischen Personen in ihrem wechselseitigen | ||||||
| 02 | Verkehr unter einander geltende Gerechtigkeit ( iustitia commutativa ), | ||||||
| 03 | sondern auch die austheilende ( iustitia distributiva ), so wie sie nach ihrem | ||||||
| 04 | Gesetze a priori erkannt werden kann, daß sie ihren Spruch ( sententia ) | ||||||
| 05 | fällen müsse, gleichfalls zum Naturrecht gehören. | ||||||
| 06 | Die moralische Person, welche der Gerechtigkeit vorsteht, ist der Gerichtshof | ||||||
| 07 | ( forum ) und im Zustande ihrer Amtsführung das Gericht | ||||||
| 08 | ( iudicium ): alles nur nach Rechtsbedingungen a priori gedacht, ohne, wie | ||||||
| 09 | eine solche Verfassung wirklich einzurichten und zu organisiren sei (wozu | ||||||
| 10 | Statute, also empirische Principien, gehören), in Betrachtung zu ziehen. | ||||||
| 11 | Die Frage ist also hier nicht bloß: was ist an sich recht, wie nämlich | ||||||
| 12 | hierüber ein jeder Mensch für sich zu urtheilen habe, sondern: was ist | ||||||
| 13 | vor einem Gerichtshofe recht, d. i. was ist Rechtens? Und da giebt es vier | ||||||
| 14 | Fälle, wo beiderlei Urtheile verschieden und entgegengesetzt ausfallen und | ||||||
| 15 | dennoch neben einander bestehen können: weil sie aus zwei verschiedenen, | ||||||
| 16 | beiderseits wahren Gesichtspunkten gefällt werden, die eine nach dem | ||||||
| 17 | Privatrecht, die andere nach der Idee des öffentlichen Rechts; - sie sind: | ||||||
| 18 | 1) der Schenkungsvertrag ( pactum donationis ). 2) Der Leihevertrag | ||||||
| 19 | ( commodatum ). 3) Die Wiedererlangung ( vindicatio ). 4) Die | ||||||
| 20 | Vereidigung ( iuramentum ). | ||||||
| 21 | Es ist ein gewöhnlicher Fehler der Erschleichung ( vitium | ||||||
| 22 | subreptionis ) der Rechtslehrer, dasjenige rechtliche Princip, was ein | ||||||
| 23 | Gerichtshof zu seinem eigenen Behuf (also in subjectiver Absicht) anzunehmen | ||||||
| 24 | befugt, ja sogar verbunden ist, um über jedes Einem zustehende | ||||||
| 25 | Recht zu sprechen und zu richten, auch objectiv für das, was | ||||||
| 26 | an sich selbst recht ist, zu halten: da das erstere doch von dem letzteren | ||||||
| 27 | sehr unterschieden ist. - Es ist daher von nicht geringer Wichtigkeit, | ||||||
| 28 | diese specifische Verschiedenheit kennbar und darauf aufmerksam | ||||||
| 29 | zu machen. | ||||||
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| 33 | Dieser Vertrag ( donatio ), wodurch ich das Mein, meine Sache (oder | ||||||
| 34 | mein Recht), unvergolten ( gratis ) veräußere, enthält ein Verhältniß | ||||||
| 35 | von mir, dem Schenkenden ( donans ), zu einem Anderen, dem Beschenkten | ||||||
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