Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 279

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 was den letzteren Vertrag betrifft: so wird jedermann gestehen, daß      
  02 die Person, welche ihn geschlossen hat, zur Erfüllung ihres Versprechen      
  03 rechtlich nicht angehalten werden könnte, wenn es ihr gereuete;      
  04 und so fällt auch der erstere, nämlich der des Concubinats,      
  05 (als pactum turpe ) weg, weil dieser ein Contract der Verdingung      
  06 ( locatio-conductio ) sein würde und zwar eines Gliedmaßes zum      
  07 Gebrauch eines Anderen, mithin wegen der unzertrennlichen Einheit      
  08 der Glieder an einer Person diese sich selbst als Sache der Willkür      
  09 des Anderen hingeben würde; daher jeder Theil den eingegangenen      
  10 Vertrag mit dem anderen aufheben kann, so bald es ihm beliebt,      
  11 ohne daß der andere über Läsion seines Rechts gegründete Beschwerde      
  12 führen kann. - Eben dasselbe gilt auch von der Ehe an der linken      
  13 Hand, um die Ungleichheit des Standes beider Theile zur größeren      
  14 Herrschaft des einen Theils über den anderen zu benutzen; denn in      
  15 der That ist sie nach dem bloßen Naturrecht vom Concubinat nicht      
  16 unterschieden und keine wahre Ehe. - Wenn daher die Frage ist:      
  17 ob es auch der Gleichheit der Verehlichten als solcher widerstreite,      
  18 wenn das Gesetz von dem Manne in Verhältniß auf das Weib sagt:      
  19 er soll dein Herr (er der befehlende, sie der gehorchende Theil) sein,      
  20 so kann dieses nicht als der natürlichen Gleichheit eines Menschenpaares      
  21 widerstreitend angesehen werden, wenn dieser Herrschaft nur      
  22 die natürliche Überlegenheit des Vermögens des Mannes über das      
  23 weibliche in Bewirkung des gemeinschaftlichen Interesse des Hauswesens      
  24 und des darauf gegründeten Rechts zum Befehl zum Grunde      
  25 liegt, welches daher selbst aus der Pflicht der Einheit und Gleichheit      
  26 in Ansehung des Zwecks abgeleitet werden kann.      
           
  27
§ 27.
     
           
  28 Der Ehe=Vertrag wird nur durch eheliche Beiwohnung ( copula      
  29 carnalis ) vollzogen. Ein Vertrag zweier Personen beiderlei Geschlechts      
  30 mit dem geheimen Einverständniß entweder sich der fleischlichen Gemeinschaft      
  31 zu enthalten, oder mit dem Bewußtsein eines oder beider Theile,      
  32 dazu unvermögend zu sein, ist ein simulirter Vertrag und stiftet keine      
  33 Ehe; kann auch durch jeden von beiden nach Belieben aufgelöset werden.      
  34 Tritt aber das Unvermögen nur nachher ein, so kann jenes Recht durch      
  35 diesen unverschuldeten Zufall nichts einbüßen.      
           
           
    in seiner eigenen Person) betrachtet) heilig genug, um das innere Gesetz ungern zu übertreten; denn es giebt keinen so verruchten Menschen, der bei dieser Übertretung in sich nicht einen Widerstand fühlte und eine Verabscheuung seiner selbst, bei der er sich selbst Zwang anthun muß. - Das Phänomen nun: daß der Mensch auf diesem Scheidewege (wo die schöne Fabel den Hercules zwischen Tugend und Wohllust hinstellt) mehr Hang zeigt der Neigung als dem Gesetz Gehör zu geben, zu erklären ist unmöglich: weil wir, was geschieht, nur erklären können, indem wir es von einer Ursache nach Gesetzen der Natur ableiten; wobei wir aber die Willkür nicht als frei denken würden. - Dieser wechselseitig entgegengesetzte Selbstzwang aber und die Unvermeidlichkeit desselben giebt doch die unbegreifliche Eigenschaft der Freiheit selbst zu erkennen.      
           
     

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