Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 051 |
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| 01 | aber doch nichts mehr sagen als: wir können in der sittlichen Ausbildung | ||||||
| 02 | der anerschaffenen moralischen Anlage zum Guten nicht von einer uns natürlichen | ||||||
| 03 | Unschuld den Anfang machen, sondern müssen von der Voraussetzung | ||||||
| 04 | einer Bösartigkeit der Willkür in Annehmung ihrer Maximen der | ||||||
| 05 | ursprünglichen sittlichen Anlage zuwider anheben und, weil der Hang dazu | ||||||
| 06 | unvertilgbar ist, mit der unablässigen Gegenwirkung gegen denselben. | ||||||
| 07 | Da dieses nun bloß auf eine ins Unendliche hinausgehende Fortschreitung | ||||||
| 08 | vom Schlechten zum Bessern führt, so folgt: daß die Umwandlung der | ||||||
| 09 | Gesinnung des bösen in die eines guten Menschen in der Veränderung | ||||||
| 10 | des obersten inneren Grundes der Annehmung aller seiner Maximen dem | ||||||
| 11 | sittlichen Gesetze gemäß zu setzen sei, so fern dieser neue Grund (das neue | ||||||
| 12 | Herz) nun selbst unveränderlich ist. Zur Überzeugung aber hievon kann | ||||||
| 13 | nun zwar der Mensch natürlicherweise nicht gelangen, weder durch unmittelbares | ||||||
| 14 | Bewußtsein, noch durch den Beweis seines bis dahin geführten | ||||||
| 15 | Lebenswandels: weil die Tiefe des Herzens (der subjective erste Grund | ||||||
| 16 | seiner Maximen) ihm selbst unerforschlich ist; aber auf den Weg, der dahin | ||||||
| 17 | führt, und der ihm von einer im Grunde gebesserten Gesinnung angewiesen | ||||||
| 18 | wird, muß er hoffen können durch eigene Kraftanwendung zu | ||||||
| 19 | gelangen: weil er ein guter Mensch werden soll, aber nur nach demjenigen, | ||||||
| 20 | was ihm als von ihm selbst gethan zugerechnet werden kann, als | ||||||
| 21 | moralisch=gut zu beurtheilen ist. | ||||||
| 22 | Wider diese Zumuthung der Selbstbesserung bietet nun die zur moralischen | ||||||
| 23 | Bearbeitung von Natur verdrossene Vernunft unter dem Vorwande | ||||||
| 24 | des natürlichen Unvermögens allerlei unlautere Religionsideen | ||||||
| 25 | auf (wozu gehört: Gott selbst das Glückseligkeitsprincip zur obersten Bedingung | ||||||
| 26 | seiner Gebote anzudichten). Man kann aber alle Religionen in | ||||||
| 27 | die der Gunstbewerbung (des bloßen Cultus) und die moralische, | ||||||
| 28 | d. i. die Religion des guten Lebenswandels, eintheilen. Nach der | ||||||
| 29 | erstern schmeichelt sich entweder der Mensch: Gott könne ihn wohl ewig | ||||||
| 30 | glücklich machen, ohne daß er eben nöthig habe, ein besserer Mensch | ||||||
| 31 | zu werden (durch Erlassung seiner Verschuldungen); oder auch, wenn | ||||||
| 32 | ihm dieses nicht möglich zu sein scheint: Gott könne ihn wohl zum besseren | ||||||
| 33 | Menschen machen, ohne daß er selbst etwas mehr dabei zu thun | ||||||
| 34 | habe, als darum zu bitten; welches, da es vor einem allsehenden Wesen | ||||||
| 35 | nichts weiter ist als wünschen, eigentlich nichts gethan sein würde: denn | ||||||
| 36 | wenn es mit dem bloßen Wunsch ausgerichtet wäre, so würde jeder Mensch | ||||||
| 37 | gut sein. Nach der moralischen Religion aber (dergleichen unter allen | ||||||
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