Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 037

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Gesetze eigen ist, blos dazu braucht, um in die Triebfedern der Neigung      
  02 unter dem Namen Glückseligkeit Einheit der Maximen, die ihnen sonst      
  03 nicht zukommen kann, hinein zu bringen (z. B. daß die Wahrhaftigkeit,      
  04 wenn man sie zum Grundsatze annähme, uns der Ängstlichkeit überhebt,      
  05 unseren Lügen die Übereinstimmung zu erhalten und uns nicht in den      
  06 Schlangenwindungen derselben selbst zu verwickeln); da dann der empirische      
  07 Charakter gut, der intelligibele aber immer noch böse ist.      
           
  08 Wenn nun ein Hang dazu in der menschlichen Natur liegt, so ist im      
  09 Menschen ein natürlicher Hang zum Bösen; und dieser Hang selber, weil      
  10 er am Ende doch in einer freien Willkür gesucht werden muß, mithin zugerechnet      
  11 werden kann, ist moralisch böse. Dieses Böse ist radical, weil      
  12 es den Grund aller Maximen verdirbt; zugleich auch als natürlicher Hang      
  13 durch menschliche Kräfte nicht zu vertilgen, weil dieses nur durch gute      
  14 Maximen geschehen könnte, welches, wenn der oberste subjective Grund      
  15 aller Maximen als verderbt vorausgesetzt wird, nicht statt finden kann;      
  16 gleichwohl aber muß er zu überwiegen möglich sein, weil er in dem      
  17 Menschen als frei handelndem Wesen angetroffen wird.      
           
  18 Die Bösartigkeit der menschlichen Natur ist also nicht sowohl Bosheit,      
  19 wenn man dieses Wort in strenger Bedeutung nimmt, nämlich als      
  20 eine Gesinnung (subjectives Princip der Maximen), das Böse als Böses      
  21 zur Triebfeder in seine Maxime aufzunehmen (denn die ist teuflisch),      
  22 sondern vielmehr Verkehrtheit des Herzens, welches nun der Folge wegen      
  23 auch ein böses Herz heißt, zu nennen. Dieses kann mit einem im      
  24 allgemeinen guten Willen zusammen bestehen und entspringt aus der Gebrechlichkeit      
  25 der menschlichen Natur, zu Befolgung seiner genommenen      
  26 Grundsätze nicht stark genug zu sein, mit der Unlauterkeit verbunden, die      
  27 Triebfedern (selbst gut beabsichtigter Handlungen) nicht nach moralischer      
  28 Richtschnur von einander abzusondern und daher zuletzt, wenn es hoch      
  29 kommt, nur auf die Gemäßheit derselben mit dem Gesetz und nicht auf      
  30 die Ableitung von demselben, d. i. auf dieses als die alleinige Triebfeder,      
  31 zu sehen. Wenn hieraus nun gleich nicht eben immer eine gesetzwidrige      
  32 Handlung und ein Hang dazu, d. i. das Laster, entspringt: so ist die      
  33 Denkungsart, sich die Abwesenheit desselben schon für Angemessenheit der      
  34 Gesinnung zum Gesetze der Pflicht (für Tugend) auszulegen (da hiebei      
  35 auf die Triebfeder in der Maxime gar nicht, sondern nur auf die Befolgung      
  36 des Gesetzes dem Buchstaben nach gesehen wird), selbst schon eine      
  37 radicale Verkehrtheit im menschlichen Herzen zu nennen.      
           
           
     

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