Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 025 |
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| 01 | Die eine oder die andere Gesinnung als angeborne Beschaffenheit | ||||||
| 02 | von Natur haben, bedeutet hier auch nicht, daß sie von dem Menschen, der | ||||||
| 03 | sie hegt, gar nicht erworben, d. i. er nicht Urheber sei; sondern daß sie nur | ||||||
| 04 | nicht in der Zeit erworben sei (daß er eines oder das andere von Jugend | ||||||
| 05 | auf sei immerdar). Die Gesinnung, d. i. der erste subjective Grund | ||||||
| 06 | der Annehmung der Maximen, kann nur eine einzige sein und geht allgemein | ||||||
| 07 | auf den ganzen Gebrauch der Freiheit. Sie selbst aber muß auch | ||||||
| 08 | durch freie Willkür angenommen worden sein, denn sonst könnte sie nicht | ||||||
| 09 | zugerechnet werden. Von dieser Annehmung kann nun nicht wieder der | ||||||
| 10 | subjective Grund oder die Ursache erkannt werden (obwohl darnach zu | ||||||
| 11 | fragen unvermeidlich ist: weil sonst wiederum eine Maxime angeführt | ||||||
| 12 | werden müßte, in welche diese Gesinnung aufgenommen worden, die eben | ||||||
| 13 | so wiederum ihren Grund haben muß). Weil wir also diese Gesinnung, | ||||||
| 14 | oder vielmehr ihren obersten Grund nicht von irgend einem ersten Zeit=actus | ||||||
| 15 | der Willkür ableiten können, so nennen wir sie eine Beschaffenheit der | ||||||
| 16 | Willkür, die ihr (ob sie gleich in der That in der Freiheit gegründet ist) | ||||||
| 17 | von Natur zukommt. Daß wir aber unter dem Menschen, von dem wir | ||||||
| 18 | sagen, er sei von Natur gut oder böse, nicht den einzelnen verstehen (da | ||||||
| 19 | alsdann einer als von Natur gut, der andere als böse angenommen werden | ||||||
| 20 | könnte), sondern die ganze Gattung zu verstehen befugt sind: kann | ||||||
| 21 | nur weiterhin bewiesen werden, wenn es sich in der anthropologischen | ||||||
| 22 | Nachforschung zeigt, daß die Gründe, die uns berechtigen, einem Menschen | ||||||
| 23 | einen von beiden Charakteren als angeboren beizulegen, so beschaffen sind, | ||||||
| 24 | daß kein Grund ist, einen Menschen davon auszunehmen, und er also von | ||||||
| 25 | der Gattung gelte. | ||||||
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