Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 427

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 derselben ist, welches sich einen Begriff von Zwecken machen und aus einem      
  02 Aggregat von zweckmäßig gebildeten Dingen durch seine Vernunft ein      
  03 System der Zwecke machen kann.      
           
  04 Man könnte auch mit dem Ritter Linne den dem Scheine nach umgekehrten      
  05 Weg gehen und sagen: Die gewächsfressenden Thiere sind da,      
  06 um den üppigen Wuchs des Pflanzenreichs, wodurch viele Species derselben      
  07 erstickt werden würden, zu mäßigen; die Raubthiere, um der Gefräßigkeit      
  08 jener Gränzen zu setzen; endlich der Mensch, damit, indem er      
  09 diese verfolgt und vermindert, ein gewisses Gleichgewicht unter den hervorbringenden      
  10 und den zerstörenden Kräften der Natur gestiftet werde.      
  11 Und so würde der Mensch, so sehr er auch in gewisser Beziehung als Zweck      
  12 gewürdigt sein möchte, doch in anderer wiederum nur den Rang eines      
  13 Mittels haben.      
           
  14 Wenn man sich eine objective Zweckmäßigkeit in der Mannigfaltigkeit      
  15 der Gattungen der Erdgeschöpfe und ihrem äußern Verhältnisse zu      
  16 einander, als zweckmäßig construirter Wesen, zum Princip macht: so ist      
  17 es der Vernunft gemäß, sich in diesem Verhältnisse wiederum eine gewisse      
  18 Organisation und ein System aller Naturreiche nach Endursachen zu denken.      
  19 Allein hier scheint die Erfahrung der Vernunftmaxime laut zu widersprechen,      
  20 vornehmlich was einen letzten Zweck der Natur betrifft, der doch      
  21 zu der Möglichkeit eines solchen Systems erforderlich ist, und den wir      
  22 nirgend anders als im Menschen setzen können: da vielmehr in Ansehung      
  23 dieses, als einer der vielen Thiergattungen, die Natur so wenig von den      
  24 zerstörenden als erzeugenden Kräften die mindeste Ausnahme gemacht      
  25 hat, alles einem Mechanism derselben ohne einen Zweck zu unterwerfen.      
           
  26 Das erste, was in einer Anordnung zu einem zweckmäßigen Ganzen      
  27 der Naturwesen auf der Erde absichtlich eingerichtet sein müßte, würde      
  28 wohl ihr Wohnplatz, der Boden und das Element sein, auf und in welchem      
  29 sie ihr Fortkommen haben sollten. Allein eine genauere Kenntniß      
  30 der Beschaffenheit dieser Grundlage aller organischen Erzeugung giebt      
  31 auf keine anderen als ganz unabsichtlich wirkende, ja eher noch verwüstende,      
  32 als Erzeugung, Ordnung und Zwecke begünstigende Ursachen Anzeige.      
  33 Land und Meer enthalten nicht allein Denkmäler von alten mächtigen      
  34 Verwüstungen, die sie und alle Geschöpfe auf und in demselben betroffen      
  35 haben, in sich; sondern ihr ganzes Bauwerk, die Erdlager des einen und      
  36 die Gränzen des andern haben gänzlich das Ansehen des Products wilder,      
  37 allgewaltiger Kräfte einer im chaotischen Zustande arbeitenden Natur.      
           
     

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