Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 364

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 verzeihlich ist, daß diese Bewunderung durch Mißverstand nach und nach      
  02 bis zur Schwärmerei steigen mochte.      
           
  03 Diese intellectuelle Zweckmäßigkeit aber, ob sie gleich objectiv ist      
  04 (nicht wie die ästhetische subjectiv), läßt sich gleichwohl ihrer Möglichkeit      
  05 nach als bloß formale (nicht reale), d. i. als Zweckmäßigkeit, ohne daß      
  06 doch ein Zweck ihr zum Grunde zu legen, mithin Teleologie dazu nöthig      
  07 wäre, gar wohl, aber nur im Allgemeinen begreifen. Die Cirkelfigur      
  08 ist eine Anschauung, die durch den Verstand nach einem Princip bestimmt      
  09 worden: die Einheit dieses Princips, welches ich willkürlich annehme      
  10 und als Begriff zum Grunde lege, angewandt auf eine Form der Anschauung      
  11 (den Raum), die gleichfalls bloß als Vorstellung und zwar      
  12 a priori in mir angetroffen wird, macht die Einheit vieler sich aus der      
  13 Construction jenes Begriffs ergebender Regeln, die in mancherlei möglicher      
  14 Absicht zweckmäßig sind, begreiflich, ohne dieser Zweckmäßigkeit      
  15 einen Zweck, oder irgend einen andern Grund derselben unterlegen zu      
  16 dürfen. Es ist hiemit nicht so bewandt, als wenn ich in einem in gewisse      
  17 Gränzen eingeschlossenen Inbegriffe von Dingen außer mir, z. B. einem      
  18 Garten, Ordnung und Regelmäßigkeit der Bäume, Blumenbeete,      
  19 gänge u. s. w. anträfe, welche ich a priori aus meiner nach einer beliebigen      
  20 Regel gemachten Umgränzung eines Raums zu folgern nicht      
  21 hoffen kann: weil es existirende Dinge sind, die empirisch gegeben sein      
  22 müssen, um erkannt werden zu können, und nicht eine bloße nach einem      
  23 Princip a priori bestimmte Vorstellung in mir. Daher die letztere (empirische)      
  24 Zweckmäßigkeit, als real, von dem Begriffe eines Zwecks abhängig      
  25 ist.      
           
  26 Aber auch der Grund der Bewunderung einer, obzwar in dem Wesen      
  27 der Dinge (sofern ihre Begriffe construirt werden können) wahrgenommenen      
  28 Zweckmäßigkeit läßt sich sehr wohl und zwar als rechtmäßig einsehen.      
  29 Die mannigfaltigen Regeln, deren Einheit (aus einem Princip)      
  30 diese Bewunderung erregt, sind insgesammt synthetisch und folgen nicht      
  31 aus einem Begriffe des Objects, z. B. des Cirkels, sondern bedürfen      
  32 es, daß dieses Object in der Anschauung gegeben sei. Dadurch aber bekommt      
  33 diese Einheit das Ansehen, als ob sie empirisch einen von unserer      
  34 Vorstellungskraft unterschiedenen äußern Grund der Regeln habe, und      
  35 also die Übereinstimmung des Objects zu dem Bedürfniß der Regeln,      
  36 welches dem Verstande eigen ist, an sich zufällig, mithin nur durch einen      
  37 ausdrücklich darauf gerichteten Zweck möglich sei. Nun sollte uns zwar      
           
     

[ Seite 363 ] [ Seite 365 ] [ Inhaltsverzeichnis ]