Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 299 |
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| 01 | wenn dieses Interesse habituell ist, es wenigstens eine dem moralischen | ||||||
| 02 | Gefühl günstige Gemüthsstimmung anzeige, wenn es sich mit der Beschauung | ||||||
| 03 | der Natur gerne verbindet. Man muß sich aber wohl erinnern, | ||||||
| 04 | daß ich hier eigentlich die schönen Formen der Natur meine, die | ||||||
| 05 | Reize dagegen, welche sie so reichlich auch mit jenen zu verbinden pflegt, | ||||||
| 06 | noch zur Seite setze, weil das Interesse daran zwar auch unmittelbar, aber | ||||||
| 07 | doch empirisch ist. | ||||||
| 08 | Der, welcher einsam (und ohne Absicht, seine Bemerkungen andern | ||||||
| 09 | mittheilen zu wollen) die schöne Gestalt einer wilden Blume, eines Vogels, | ||||||
| 10 | eines Insects u. s. w. betrachtet, um sie zu bewundern, zu lieben und sie | ||||||
| 11 | nicht gerne in der Natur überhaupt vermissen zu wollen, ob ihm gleich | ||||||
| 12 | dadurch einiger Schaden geschähe, viel weniger ein Nutzen daraus für ihn | ||||||
| 13 | hervorleuchtete, nimmt ein unmittelbares und zwar intellectuelles Interesse | ||||||
| 14 | an der Schönheit der Natur. D. i. nicht allein ihr Product der Form | ||||||
| 15 | nach, sondern auch das Dasein desselben gefällt ihm, ohne daß ein | ||||||
| 16 | Sinnenreiz daran Antheil hätte, oder er auch irgend einen Zweck damit | ||||||
| 17 | verbände. | ||||||
| 18 | Es ist aber hiebei merkwürdig, daß, wenn man diesen Liebhaber | ||||||
| 19 | des Schönen insgeheim hintergangen und künstliche Blumen (die man | ||||||
| 20 | den natürlichen ganz ähnlich verfertigen kann) in die Erde gesteckt, oder | ||||||
| 21 | künstlich geschnitzte Vögel auf Zweige von bäumen gesetzt hätte, und er | ||||||
| 22 | darauf den Betrug entdeckte, das unmittelbare Interesse, was er vorher | ||||||
| 23 | daran nahm, alsbald verschwinden, vielleicht aber ein anderes, nämlich | ||||||
| 24 | das Interesse der Eitelkeit, sein Zimmer für fremde Augen damit auszuschmücken, | ||||||
| 25 | an dessen Stelle sich einfinden würde. Daß die Natur jene | ||||||
| 26 | Schönheit hervorgebracht hat: dieser Gedanke muß die Anschauung und | ||||||
| 27 | Reflexion begleiten; und auf diesem gründet sich allein das unmittelbare | ||||||
| 28 | Interesse, was man daran nimmt. Sonst bleibt entweder ein bloßes Geschmacksurtheil | ||||||
| 29 | ohne alles Interesse, oder nur ein mit einem mittelbaren, | ||||||
| 30 | nämlich auf die Gesellschaft bezogenen, verbundenes übrig: welches letztere | ||||||
| 31 | keine sichere Anzeige auf moralisch=gute Denkungsart abgiebt. | ||||||
| 32 | Dieser Vorzug der Naturschönheit vor der Kunstschönheit, wenn jene | ||||||
| 33 | gleich durch diese der Form nach sogar übertroffen würde, dennoch allein | ||||||
| 34 | ein unmittelbares Interesse zu erwecken, stimmt mit der geläuterten und | ||||||
| 35 | gründlichen Denkungsart aller Menschen überein, die ihr sittliches Gefühl | ||||||
| 36 | cultivirt haben. Wenn ein Mann, der Geschmack genug hat, um über | ||||||
| 37 | Producte der schönen Kunst mit der größten Richtigkeit und Feinheit zu | ||||||
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